Urbane Mitte: Gerichtsverfahren gegen Kritik

Ein Investor verklagt eine Bürgerinitiative – diese erhält breite Unterstützung

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Gleisdreickpark sollen mehrere Hochhäuser gebaut werden – die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck stellt sich dagegen.
Am Gleisdreickpark sollen mehrere Hochhäuser gebaut werden – die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck stellt sich dagegen.

Im Februar 2025 erhielten Norbert Rheinlaender als Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. sowie Matthias Bauer, Betreiber der Webseite gleisdreieck-blog.de, Post vom Berliner Landgericht. Der Luxemburger Fonds »Urbane Mitte Besitz S.à.r.l.« hatte Klagen auf Unterlassung ihrer Kritik an den geplanten Hochhäusern im Gleisdreieck-Park eingereicht. Sollte die Klage Erfolg haben, drohten Geldstrafen von bis zu 250 000 Euro oder ersatzweise sechs Monate Haft, wenn die Kritik weiter öffentlich geäußert würde.

Der Fonds plant, am Rand des beliebten Gleisdreieck-Parks sieben bis zu 90 Meter hohe Bürotürme zu errichten. Seit Jahren engagieren sich Bauer und die Bürgerinitiative gegen dieses Vorhaben. Sie sammeln Informationen, erstellen Gutachten, informieren die Öffentlichkeit, organisieren Unterschriftensammlungen und tragen ihre Argumente im Abgeordnetenhaus sowie in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg vor. Dort waren sie besonders erfolgreich: Nach über einem Jahrzehnt Zustimmung zur Planung rückte die BVV 2024 erstmals von dem Bauvorhaben ab.

Seit Juni 2024 geht der Fonds mit Unterlassungsforderungen gegen die Initiative vor. Zentrale Aussagen zu möglichen Auswirkungen auf das Stadtklima, Beeinträchtigungen der Aufenthaltsqualität im Park, Missachtung von Natur- und Denkmalschutz, Bodenspekulation sowie zu Fragen der Sicherheit im Katastrophenfall sollten der Initiative untersagt werden. In allen Fällen reagierte die Initiative mit einer umfangreichen Stellungnahme, gab aber keine Unterlassungserklärung ab. Nun folgte der Gang zum Gericht.

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Der Fall reiht sich ein in eine besorgniserregende Entwicklung: Immer häufiger setzen finanzstarke Unternehmen juristische Mittel ein, um kritische Stimmen einzuschüchtern. Das Europaparlament und der Europäische Rat haben 2024 mit der Richtlinie 2024/1069 eine Grundlage geschaffen, um solche sogenannten SLAPP-Klagen (»Strategic Lawsuits Against Public Participation« – Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) zu erkennen und einzuhegen. SLAPP-Klagen, so die EU, zielen darauf ab, öffentliche Beteiligung zu verhindern oder einzuschränken, indem finanzielle und strukturelle Machtungleichgewichte ausgenutzt werden. »NoSLAPP«, eine bundesweit tätige Beratungsstelle zur Unterstützung Betroffener, hat auch die Klagen gegen Bauer und die Bürgerinitiative detailliert analysiert und kommt zu dem Ergebnis: Die Kombination aus haltlosen Vorwürfen, wiederholter Verfolgung desselben Sachverhalts, gezielter Einschüchterung einzelner Akteure und Machtungleichgewichte deute auf einen Fall von SLAPP im Sinne der EU-Richtlinie hin.

Auch die BVV Friedrichshain-Kreuzberg spricht in ihrer Ende März verabschiedeten Resolution von SLAPP-Klagen mit dem Ziel, »Kritik an der massiven Bauplanung zu unterbinden. Die Eigentümerin bedient sich dabei der bekannten Mittel, das schwächste Glied in einer Kette von Kritikerinnen finanziell frontal anzugreifen.« Den Versuch, kritische Bürger*innen »über Klageverfahren mundtot« zu machen, begreife man auch als Angriff auf sich selbst, »denn auch die BVV hat ihre Kritik am Bauvorhaben immer deutlich geäußert. Nicht zuletzt, weil es auf einer völlig überholten Rahmenplanung von vor 20 Jahren fußt«. Kurz vor der Sitzung versuchte die Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. mit einer »Stellungnahme« an die BVV-Mitglieder, die Resolution zu verhindern. Der Vorwurf einer SLAPP-Klage werde »in aller Deutlichkeit zurückgewiesen«, heißt es darin. Da aber bei den Aktivist*innen der Bürgerinitiative »keine Einsicht« erfolge und »rechtswidrige Äußerungen weiterhin verbreitet« würden, werde man »gerichtliche Hilfe« in Anspruch nehmen.

»Wir haben die Fakten auf unserer Seite.«

Matthias Bauer
Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck

Doch der Versuch, die BVV von ihrer Resolution abzubringen, scheiterte. Stattdessen wurde die Arbeit der Bürgerinitiative ausdrücklich gewürdigt. Gaby Gottwald (Linke), Mitautorin des Antrags, erhielt breite Zustimmung, als sie in der BVV-Sitzung sagte: »Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck und dem Verfasser des Gleisdreieck-Blogs und danken für die jahrelange, engagierte und fruchtbare Zusammenarbeit. Wir hoffen, dass wir diese auch zukünftig fortsetzen können.«

Und die Beklagten? Matthias Bauer und die Initiative zeigen sich unerschrocken. Inzwischen wurden detailreiche Erwiderungen eingereicht, die mithilfe von Gutachten und belegbaren Fakten die Vorwürfe des Investors entkräften. »Wir haben die Fakten auf unserer Seite«, so Bauer gegenüber »nd«, »und unsere Stellungnahmen sind durch die Meinungsfreiheit gedeckt.« Er zeigt sich zuversichtlich, dass diese Klage – wie schon frühere Versuche, den Kritiker*innen der Urbanen Mitte den Mund zu verbieten – ins Leere laufen wird. Ein Gerichtstermin wird frühestens für den Herbst erwartet.

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