Leichen und Beton
Wo lässt die Mafia ihre Opfer verschwinden?
Zum klassischen Repertoire der Spurenbeseitigung gehören für die italienischen Verbrecherorganisationen das Säurebad und das Betonfundament. Manchmal werden die Opfer aber auch unter dem Namen eines Bosses beerdigt, der sich, derart offiziell begraben, nun noch sicherer als zu »Lebzeiten« fühlen darf.
Seit es die Mafia gibt, wird aber auch immer von heimlichen Friedhöfen gemunkelt. Einen solchen hat die Polizei kürzlich im Hinterland Palermos, unweit des Unterschlupfes der zuletzt die sizilianische Hauptstadt beherrschenden Familie Lo Piccolo, entdeckt. Auf die Spur hatte sie der jüngst zum Kronzeugen gewandelte Gaspare Pulizzi gebracht. Pulizzi war mit Vater und Sohn Lo Piccolo am 5. November 2007 gefasst worden.
In dem Erdreich soll sich unter anderem der Körper des letzten spurlos verschwundenen Unterbosses Giovanni Bonnano befinden. Während die Palermitaner Staatsanwälte noch auf diesem Areal graben ließen, gelang ihren Kollegen aus der Provinzstadt Caltanissetta, im Herzen Westsiziliens, ein Schlag gegen die mafiose Ökonomie: Sie hatten Beweise zusammengetragen, wie Italiens größter Zementproduzent, die in Bergamo beheimatete Calcestruzzi Spa., mit Hilfe lokaler Mafiagrößen Vergabeverfahren manipuliert sowie eine doppelte Buchführung eingerichtet hatte. 30 Prozent des Umsatzes sollen so in schwarzen Kassen gelandet sein. Zudem sollen bei jedem Auftrag 50 Kilogramm pro Kubikmeter Beton weniger geliefert worden sein. So muss nun geprüft werden, bei welchen Objekten mit statischen Problemen gerechnet werden muss. Infrage kommen u.a. ein Abschnitt der Strecke des Hochgeschwindigkeitszuges TAV in Norditalien, zwei Autobahnteilstücke in Sizilien, eine Brücke über den Po, Baustellen der römischen Metro sowie Amtsgebäude in Mailand und Gela.
Der Betonmulti gehört zum Imperium des 1993 aus dem Leben geschiedenen Raul Gardini. Gardini war – wie auch Ex-Premier Silvio Berlusconi – durch die Privatisierung von Staatsbetrieben in nur wenigen Jahren zu einem führenden Unternehmer geworden. Wie Berlusconi stand er im Zentrum von Ermittlungen im Rahmen der Bestechungsprozesse »Mani Puliti« in den neunziger Jahren. Während Berlusconi in die Politik ging, fand man Gardini tot auf. Sein angeblicher Selbstmord wird angesichts der neuen Erkenntnisse über die langjährige Zusammenarbeit seiner Firmen mit der Mafia nun erneut untersucht.
Die Ermittlungen gegen die Calcestruzzi bestätigen den seit Jahren von Umweltschutz- und Antimafia-Organisationen geäußerten Verdacht auf einen »Kreislauf des Zements«. Seine extremsten Formen sind der illegale Abbau des Kalksteins, die Herstellung minderer Qualität und die Verwendung der Baustoffe bei ursprünglich nicht genehmigten Projekten. Manch ein Betonfundament ist wegen der dort eingeschlossenen Leichen noch poröser.
Ein Schlag gegen die kriminelle Betonfraktion gelang der Polizei kürzlich auch in Kalabrien. Mitte Februar wurde mit Pasquale Condello der derzeit wohl wichtigste Mann der 'Ndrangheta festgenommen. In der territorial organisierten und dabei auf flache Hierarchien setzenden kalabrischen Verbrecherorganisation soll Condello nach Angaben von Ermittlern eine vergleichbare Rolle wie Bernardo Provenzano bei der sizilianischen Cosa Nostra gespielt haben. »Gegen ihn war Provenzano ein Waisenknabe«, wurde ein Ermittler kurz nach der Verhaftung zitiert.
Wie Provenzano hatte Condello seine Geschäfte vor allem mit »Pizzini«, kleinen Zettelchen, betrieben. Eine Unzahl dieser Botschaften wurde in seinem Versteck in Reggio di Calabria gefunden. Sie erlauben nun weitere Aufschlüsse über die kriminellen Aktivitäten, die laut Schätzungen einen Jahresumsatz von 30 bis 36 Milliarden Euro aufweisen. 2006 war Condello als einer der Organisatoren der Manipulation von Ausschreibungen zum Neubau kalabresischer Autobahnen aufgefallen. Zum Betrugskartell hatte damals neben Politikern und Unternehmern auch ein Gewerkschafter gehört.
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