Eine »Welt ohne Ende«

Ken Follett schrieb wieder über Kingsbridge und seine Einwohner – »Die Tore der Welt«

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Nein, ein zweites »Die Säulen der Erde« ist es leider nicht geworden, dieses nicht enden wollende Fortsetzungswerk, das im englischen Original »World without End« heißt und von so vielen sehnsüchtig erwartet wurde, die Lord William Hamleigh abgrundtief hassten und mit dem so genialen Steinmetz Tom Builder und der ehemals vogelfreien Ellen fieberten. Wer nicht wusste, wie man eine Kathedrale baut, der konnte es nach der spannenden Lektüre von Ken Folletts Bestseller, zumindest theoretisch. Wer wissen wollte, wie Mittelalter schmeckt, arbeitet, liebt und intrigiert, der fühlte sich bei dieser poulären Saga gut aufgehoben. Neben Umberto Ecos »Der Name der Rose« hat es dieses Buch wohl wie kein zweites geschafft, mediävistisches Interesse bei einer breiten Öffentlichkeit zu wecken.

Nun also die Fortschreibung, nach 17 Jahren Abwesenheit vom mittelalterlichen Kingsbridge und – fast zweihundert Jahre nach dem Bau der Roman-Kathedrale.

Held ist diesmal Merthin, ein Sohn verarmter Adliger, der beim Zimmermann Elfric in die Lehre geht. Obwohl er sie nicht beendet (nicht beenden darf), wird er ein angesehener Baumeister. Zum Schluss des Buches soll er sein Lebensziel beenden, der Priorei seiner geliebten Heimatstadt den höchsten Turm Englands errichtet zu haben, der schon von weither sichtbar die Ströme der Kaufleute anlocken soll. Dieser Merthin könnte einem durchaus ans Herz wachsen, denn er kann und will etwas, ist aber eben auch ein rechtes Schaf. Pausenlos wird er kujoniert, ständig wird gegen ihn intrigiert, sein Erfolg sabotiert, sein Glück angegriffen. Viele quälende Seiten (und Wiederholungen des Grundkonflikts) dauert es, bis er endlich, nachdem er auch ein paar Jahre in der weiten Welt gewesen war, seine Caris, die tüchtige Wollhändlertochter, heiraten kann. Sie selber ist Cousine des spätern Prior Godwyn, ihre Schwester wiederum ist die Frau von Elfric, dem Erzfeind ihres Liebsten. Merthins Bruder Ralph hingegen ist dessen blankes Gegenteil. Er raubt, unterdrückt und vergewaltigt, bis ihn die gerechte Strafe ereilt.

Irgendwie sind fast alle miteinander verwandt in diesem Buch. Und der bäuerliche Alltag wird sehr lebendig – und kenntnisreich – geschildert. Wie wurde gewohnt, was angebaut, wie wurden die Produkte verkauft und wie weit konnte die Willkür des Lehnsherrn gehen? Sehr weit, erfahren wir. Doch die handelnden Personen sind bei so viel historischem Unterricht ein wenig überfordert.

Charakter ist Schicksal, dieser Satz, der so viel Wahres enthält, wird von Ken Follett arg überdehnt. Jede Vergewaltigung, jeder Fausthieb, jedes Glück oder Unglück scheint vorhersehbar zu sein. Das ist schade, denn historische Neugier wird bestens befriedigt in diesem Buch. Der Alltag einer Priorei, das Funktionieren eines Marktfleckens, das Betreiben eines Hospitals, der Kampf gegen die Pest ... Aber die Neugier auf die handelnden Personen bleibt leider auf der Strecke. Für Dennis Schreck, einen Buchkritiker im Fernsehen, ist der Roman leider nur so »aufregend wie eine Nacht im Kostümverleih«.

»Eine starke Story wiederum braucht starke Charaktere«. So warb Ken Follett im ND-Interview für sein Buch auf der Leipziger Buchmesse, welches trotz Kritik aber schon ganz oben in den Bestsellerlisten rangiert.

Die Frauencharaktere sind dem Autor wieder mal am besten gelungen. Seine Caris ist die Urmutter der erfolgreichen Managerin. Kunststück: Folletts Frau Barbara ist im wirklichen Leben Ministerin im Kabinett von Gordon Brown.

Ken Follett: Die Tore der Welt. Lübbe Verlag 2008, aus dem Englischen von Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt, 1295 S., geb., 24,95 EUR.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -