Freisprüche nicht zugelassen
Ex-Chefankläger im US-Lager Guantanamo erhebt schwere Vorwürfe
Der Luftwaffenoberst Morris Davis (Foto: ND-Archiv) hatte bereits im vorigen Herbst nach zwei Jahren als Chefankläger mehr als genug von Guantanamo. Unter Protest trat er damals von seinem Posten im US-Gefangenenlager zurück und warf Spitzenfunktionären des Pentagon vor, sie wollten die Prozesse gegen Terrorverdächtige manipulieren.
Inzwischen hat in dem Lager das Verfahren gegen Osama bin Ladens ehemaligen Fahrer Salim Ahmed Hamdan begonnen. Dort trat Davis jetzt als Zeuge der Verteidigung auf und erklärte, der Fahrer habe wegen politischer Einflussnahme kein gerechtes Verfahren erhalten. Genau das wollen Hamdans Anwälte beweisen. Die Aussage lässt die rechtsstaatliche Fassade der Verfahren gegen Terrorverdächtige auf dem Stützpunkt weiter bröckeln.
Menschenrechtsorganisationen hatten der Bush-Regierung wiederholt vorgeworfen, die Gerichtsverfahren seien nur Feigenblätter – die Rechte der Angeklagten würden weitgehend ignoriert.
Morris Davis, inzwischen Richter bei der Luftwaffe und kurz vor der Pensionierung, sagte, seine Vorgesetzten hätten ihn dazu gedrängt, in den Guantanamo-Verfahren Beweise und Aussagen zu verwenden, die durch »Waterboarding« erpresst wurden – eine Foltermethode, bei der die Verhörten fast ertränkt werden. Seine Vorgesetzten hätten ihm auch gesagt, wen er anzuklagen habe und dass er keine Freisprüche zulassen dürfe. Er zitierte seine Vorgesetzten mit dem Satz: »Wenn wir vor den (Kongress-)Wahlen (2006) nicht mehr Fälle zusammenbekommen, wird das Ganze hier implodieren.«
In der Schuldfrage war Davis allerdings genauso deutlich: Er habe keinen Zweifel daran, dass Hamdan schuldig sei, sagte er.
In der US-amerikanischen Militärjustiz bestimmen vor allem Ankläger und Richter die Richtung eines Verfahrens. Dabei müssen sie sich an die Gesetze halten. Dass ihnen dabei vorgesetzte Kommandeure eine bestimmte Auslegung der Gesetze vorschreiben, ist allerdings nicht vorgesehen.
Rund 270 Männer sind noch in Guantanamo inhaftiert. Die meisten von ihnen wurden während der Afghanistan-Invasion festgenommen, als »feindliche Kämpfer« klassifiziert und verhaftet. Gegen rund 80 von ihnen plant die US-Regierung Verfahren vor den Militärgerichten.
Das Pentagon schwieg zunächst zu Davis' Vorwürfen. Das US-Verteidigungsministerium hatte ähnliche Äußerungen des Offiziers bereits früher zurückgewiesen. Davis sagte in einer Anhörung vor dem eigentlichen Prozess gegen Hamdan aus. Der in Jemen geborene Mann war Bin Ladens Fahrer, als der Al-Qaida-Führer als Ingenieur in einem landwirtschaftlichen Projekt in Afghanistan arbeitete. Hamdans Verteidigung hofft angesichts der Aussagen von Davis darauf, dass die Anklage fallen gelassen wird. Allerdings blieb unklar, ob Davis erneut und detaillierter aussagen wird, falls es zu einem regulären Prozess kommt.
Hamdan hatte bereits 2006 einen Erfolg vor dem obersten US-Gericht errungen. Der Supreme Court gab ihm recht, dass er entgegen den US-Militärgesetzen und der Genfer Flüchtlingskonvention als »feindlicher Kämpfer« klassifiziert worden sei. Der Fall zwang die Bush-Regierung damals dazu, den Kongress um Zustimmung zu den Militärtribunalen in Guantanamo zu bitten. Die kam prompt. Zugleich entbrannte jedoch eine breite öffentliche Diskussion über die Guantanamo-Praxis.
Nach Davis' Aussage in dieser Woche meldeten sich Kritiker erneut öffentlich zu Wort. Die Aussage zeige, dass die USA mit Guantanamo ihre eigene moralische Autorität untergrabe, indem sie den Häftlingen dort nicht die gleichen verfassungsmäßigen Rechte zugestehe wie US-Bürgern. Jennifer Daskal von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte, Davis' Aussage zeige, dass die Verfahren auf dem US-Stützpunkt nie die notwendige Glaubwürdigkeit erreichen würden, die für eine angemessene Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 nötig sei.
Der Anwalt der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union, Ben Wizner, brachte es so auf den Punkt: Mit seiner Aussage habe Morris Davis klar gemacht, dass die Guantanamo-Verfahren von Anfang an »politisch« und nicht rechtsstaatlich angelegt gewesen seien.
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