»Deutscher Herbst« geht zu Ende
2009 kommt mit Christian Klar das letzte Mitglied der zweiten RAF-Generation auf freien Fuß
Stuttgart (ND/Agenturen). Das Gericht gehe nicht davon aus, »dass von Christian Klar künftig erneut erhebliche Straftaten zu befürchten sind«, sagte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts. Die Aussetzung der Reststrafe sei auch von der Bundesanwaltschaft befürwortet worden. Der Sprecherin zufolge beträgt die Bewährungszeit fünf Jahre. Der inzwischen 56-Jährige wurde 1985 vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen neunfachen Mordes und elffachem Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. Klar wurde vom Stuttgarter Gericht im selben Prozess wie Brigitte Mohnhaupt wegen aller Taten der RAF seit 1977 für schuldig befunden. Dazu zählten unter anderem die Morde an dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen Begleitern, an dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG, Jürgen Ponto, und an dem Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Das Urteil lautete auf sechsmal lebenslänglich sowie zusätzlich 15 Jahre Haft. 1997 entschied dann das Oberlandesgericht Stuttgart, dass die Mindestverbüßungsdauer 26 Jahre beträgt.
Der Sohn von Siegfried Buback vermutet, dass der Verfassungsschutz die eigentlichen Mörder seines Vaters decke. Schon während der Gerichtsverhandlung waren Zweifel an Klars Täterschaft aufgekommen. In den Urteilen wegen des Attentats war der Name des Schützen offengeblieben. Mittlerweile ist bekannt, dass mindestens 14 RAF-Terroristen auch für diverse Geheimdienste tätig waren. Einige der von der RAF verübten oder ihr zugeschriebenen Attentate geschahen mit Duldung oder gar auf Veranlassung von Nachrichtendiensten, so etwa der Anschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt oder die Justizanstalt in Celle – auch als »Celler Loch« bekannt.
Im Mai vergangenen Jahres hatte Bundespräsident Horst Köhler eine Begnadigung Klars nach einem Gespräch mit dem Häftling abgelehnt. Klar hatte zuvor in einem TV-Interview Reuegefühle abgelehnt. Der Freiburger Kriminologe Helmut Kury gab zu bedenken, es sei vorerst nicht davon auszugehen, dass Klar seine Taten bereue. »Das kann man bei den RAF-Terroristen nicht erwarten.« Sie seien von Ideologie geprägte Täter gewesen. »Von jemandem, der sein ganzes Leben dafür gekämpft hat, kann man nicht erwarten, dass er sich völlig ändert.« Der Psychologe fügte hinzu: »Wenn er zu dem Ergebnis käme, dass das der falsche Weg war, müsste er ja sagen: Ein Großteil meines Leben ging in die falsche Richtung.«
Kritik an Klars Entlassung kommt von der bayerischen Landesregierung. Justizministerin Beate Merk (CSU) sprach von einem »belastenden Tag, vor allem für die Angehörigen der Opfer«. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts müsse ihnen schwer zu schaffen machen, sagte Merk. Klar habe sich niemals von den Verbrechen der RAF distanziert. Stattdessen habe er deutlich gemacht, »dass ihn die Gefühle der Opfer nicht berühren«. Unterdessen teilte das von Claus Peymann geleitete Berliner Ensemble am Montag mit, »dass Christian Klar den ihm vor einigen Jahren auf seine Anfrage hin angebotenen Praktikumsplatz in der Technik des BE antreten wird«. Hinter dem Angebot stehe der Gedanke der Resozialisierung, betonte Theater-Chef Peymann. Nach so vielen Jahren Haft müsse Klar eine Chance zur Rückkehr in die Gesellschaft haben.
Nach der Freilassung von Christian Klar verbüßt nur noch Birgit Hogefeld als letzte Ex-RAF-Terroristin eine lebenslange Haftstrafe. Sie gilt als Kopf der sogenannten dritten RAF-Generation und wurde 1993 verhaftet. Ihr Gnadengesuch wies Bundespräsident Horst Köhler im Mai 2007 ab.
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