Rechtsextremisten sind gefährlich, aber nützlich
Franz Josef Müller von der Weißen Rose über den NS-Widerstand und die Fragwürdigkeit eines NPD-Verbots
ND: Sie gehörten zu den jüngsten Mitgliedern der Weißen Rose, waren noch Jugendlicher, als Sie sich ihr anschlossen. Was hat Sie damals bewogen in den Widerstand zu gehen?
Franz Josef Müller: Vielleicht weil mir ein HJ-Führer in die Fresse gehauen hat. Der war drei Jahre älter als ich und tat dies bloß, weil ich widersprochen hatte. Und dann, weil unser Weltanschauungslehrer der dümmste aller Lehrer war und mich dauernd mit Rektoratsarrest bestraft hatte, weil ich ihm widersprach. Mit der Zeit stinkt einem das und man sagt sich, das kriegt er irgendwann zurück. Die HJ war für mich einfach nur langweilig. Die Gruppenführer wussten nichts mit uns anzufangen. Außer Marschieren, Spalierstehen, Führerreden anhören, vielleicht mal Geländespiele, fiel denen nichts ein. Und dann brachte Sophie Scholl meinem Schulfreund Hans Hirzel, Sohn des Ulmers Pfarrers der Martin-Luther-Kirche, Anfang Januar 1943 einen Koffer mit 1000 Exemplaren des fünften Flugblatts der Weißen Rose »Aufruf an alle Deutschen«. Der Text und die Auforderung »Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter!« war für mich eine Motivation, mich zu beteiligen. Außerdem war ich frei erzogen, hatte viel gelesen und war stark beeinflusst von katholischen Pfarrern, die Regimegegner waren.
Hatten Sie Angst, entdeckt zu werden?
Natürlich hatte ich Angst, aber die Situation im Allgemeinen war ohnehin mit Angst besetzt: Krieg, Verwundete und die vielen Gefallenen. Meine Mutter jedoch war unerschrocken und kritisch. »Macht den Schreier aus!«, sagte sie bei Hitlerreden. »Der bringt uns ins Unglück!«. Mein Vater war zwar im ersten Weltkrieg verwundet und stolz auf seinen Orden, im Alltag jedoch eher angepasst und natürlich Mitglied in der NSDAP. Angst zu handeln, hatte ich daher eigentlich nicht. Außerdem war ich 18 Jahre alt und meine Einberufung zur Wehrmacht stand unmittelbar bevor und das hätte wahrscheinlich den baldigen Einsatz an der Ostfront bedeutet. Uns ging auch durch den Kopf, dass wir lieber etwas gegen Hitler tun wollten, als für ihn kämpfen zu müssen.
Sie wurden zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Wie haben sie die Haft erlebt?
Relativ gut. Die ersten zwei Monate war ich im Gestapogefängnis. Das war ganz schlimm. Ich habe erbärmlich gefroren und gehungert, bin einige Male umgefallen. Zum Glück kam ich in dann in den normalen Strafvollzug und das bedeutete in das Jugendgefängnis Heilbronn, weil ich damals mit 18 Jahren noch als minderjährig galt. Der Leiter, Professor Gregor, war uns Politischen wohl gesonnen und wies uns der Bibliothek, der Gärtnerei und mich als Hilfspfleger der Krankenstation zu, weil ich im Verhör gesagt hatte, ich wolle Medizin studieren. 1945 befreiten uns die Amerikaner und somit musste ich nur zwei Jahre absitzen.
Der Ulmer Oberbürgermeister Robert Scholl, Vater der Geschwister Scholl, hatte Sie nach dem Krieg überredet, nicht mit einem Stipendium in den USA zu studieren. Haben sie diesen Schritt jemals bereut?
Nein, nicht im Mindesten. Ganz im Gegenteil, meine Freunde und wir haben, indem wir die Flugblätter verteilt haben, für ein besseres Deutschland gekämpft. Wir haben uns für die Vereinigten Staaten von Europa eingesetzt und das ist doch letztendlich erreicht worden.
Welche Gefahren bestehen aus ihrer Sicht heute noch?
Aktuelle Gefahren sehe ich eigentlich nicht. Im Gegensatz zu damals kann sich heute jeder auf vielseitige Art informieren. Eine Gefahr besteht vielleicht in der Reizüberflutung, die leicht zu nur passivem Aufnehmen verführt.
Eine Gefahr von rechts?
Nein, die sehe ich im Gegensatz zu vielen anderen nicht. Rechtsextremisten sind zwar gefährlich aber auch nützlich, weil sie zwingen, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen und die, die anders denken auf den Plan rufen. Und so lange diese in der Mehrheit sind, wird automatisch auch der Widerstand gegen Rechtsextremismus wachsen.
Welche Weichen müssten Ihrer Meinung nach die Politik jetzt stellen?
Wenn Sie damit ein NPD-Verbot meinen, muss dieses rechtlich unangreifbar sein. Solange müssen die Gesetze und Vorschriften voll ausgeschöpft und konsequent angewendet werden. Die bestehenden Gesetze schützen unseren Rechtsstaat, da brauchen wir keine Sondergesetze. Natürlich finde ich viele Behauptungen und Aktivitäten dieser Leute unerträglich und habe auch im Namen der Weißen Rose immer wieder dagegen demonstriert, täte es notfalls immer noch. Zum Glück protestieren auch meine Kinder und Enkel und gehen auf die Straße. Das macht Mut.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.