Für den »Sensationsfund« gab es keinen Platz

Nach dem Verrotten dreier prähistorischer Einbäume in Schwerin legt das Land ein Millionenprogramm für Denkmalschutz auf

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Debakel um die Stralsunder Einbäume zeigt sich die Landespolitik entschlossen. 35 Millionen Euro soll das Landesamt für Denkmalschutz ab 2010 bekommen. Indessen gibt es neue Details: Die Politik sei informiert gewesen – und ein eigens beschafftes Spezialgerät mangels Platz nicht aufgestellt worden.

Plötzlich ist Geld für Kultur da in Mecklenburg-Vorpommern. Das Land, das seine Theater zu »Kooperationen« über Hunderte von Kilometern hinweg zwingt, um nur ja keinen zusätzlichen Euro ausgeben zu müssen, will ab 2010 ein »Aktionsprogramm« für Kultur und Denkmalpflege starten, das 35 Millionen Euro umfassen soll. Neue Büros und Werkstätten für die Denkmalpfleger, Magazine für die Landesarchive, ein neues Depot für Bodendenkmäler mit Klima- und Quarantänekammern – alles auf einmal kein Problem. Es musste nur etwas richtig peinliches vorfallen.

Vor einer Woche war bekannt geworden, dass zwei prähistorische Einbäume, die 2002 in Strals-und ausgegraben worden waren, in der Obhut der Schweriner Landesdenkmalschützer verrotteten. Wenige Tage später schon präsentierte Kultusminister Henry Tesch (CDU) die Finanzspritze.

Die Politik war informiert

Ungünstiger konnte der Zeitpunkt tatsächlich kaum sein. Bald eröffnet die Bundesgartenschau in der Landeshauptstadt, die in den letzten Monaten in einer Plakatoffensive für sich als lebenswerte Kulturstadt mit Tradition geworben hat. Und nun ein derartiger Schildbürgerstreich – als erste Nachricht, mit der Schwerin seit dem tragischen Hungertod der kleinen Lea-Sophie überregionale Presse bekommt.

Dementsprechend entschlossen gibt sich jetzt die zuständige Landespolitik. »Lückenlos« will Minister Tesch aufklären lassen, wie es zu der kulturellen Katastrophe kommen konnte. Die Untersuchungen soll eine Expertengruppe leiten, die Horst Winkelmann, der der frühere Chef der UNESCO-Welterbekommission leiten soll. Tesch selbst will bereits ein eingehendes »Aktenstudium« zu dem Fall geleistet haben, das »Mosaiksteinchen«, aber kein Gesamtbild ergeben habe.

Dieses Gesamtbild könnte auch für die Politik peinlich werden. Friedrich Lüth, der frühere Landesarchäologe und Leiter des archäologischen Landesmuseums, war besonders seitens der SPD-Fraktion zunächst als Hauptschuldiger ausgemacht worden. Der Wissenschaftler, der seit 2006 in leitender Funktion am Deutschen Archäologischen Institut arbeitet, hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Seine Darstellung ist indes etwas widersprüchlich: Erst vor wenigen Tagen will er von dem Unglück erfahren haben; es habe nach dem Fund 2002 aber einen langen Briefwechsel über Lagerungs- und Konservierungsmöglichkeiten gegeben, der wegen seiner Wichtigkeit auch dem LandesFinanz- und Kulturministerium in Kopie übersandt worden sei. Die Ministerien seien »umfassend informiert« gewesen, so Lüth, der sich an Antworten aber nicht erinnern kann.

Beide Ministerien waren seinerzeit von der SPD besetzt; Finanzministerin war Sigrid Keler, das Kultusministerium leitete der parteilose, aber SPD-nahe Greifswalder Professor für Kiefer- und Gesichtschirurgie, Hans-Robert Metelmann. In eigener Sache geäußert haben sich bisher weder Ministerien noch die ehemaligen Minister.

Priorität: Büromöbel-Lager

Die Details, die bisher kursieren, sind um so haarsträubender. Laut Lüth sei an den in größeren Erdblöcken geborgenen Bootsresten bis 2004 eine »Vorkonservierung« vorgenommen worden. Es sei auch eigens eine Gefriertrocknungsanlage zur weiteren Bearbeitung des sensiblen Fundes besorgt worden – doch habe man keinen Platz gehabt, diese aufzustellen. Den dafür eigentlich anvisierten Raum habe nämlich das Finanzamt Schwerin beansprucht – als Lager für Büromöbel. Laut Michael Bednorz, dem Leiter des erst 2006 gegründeten Landesamts für Kultur- und Denkmalpflege, stand die 60 000 Euro teure Spezialanlage daraufhin jahrelang auf dem Gelände einer Schweriner Spedition herum und war nicht einsatzbereit.

Inzwischen, so Bednorz, habe man die Anlage dem Nachbarland Brandenburg ausgeliehen. Seit 2008 bestehe mit der Potsdamer Regierung eine entsprechende Kooperationsvereinbarung, nach der Mecklenburg-Vorpommern ähnliche Fundstücke künftig zur Konservierung dorthin schicken könne.

Nach den bisherigen Angaben des Landesamts für Kultur- und Denkmalschutz sind weitere archäologische Funde nicht von unsachgemäßer Lagerung beschädigt worden. Das Landesamt verwahre an 15 Orten etwa 500 000 Fundstücke. Zum Welterbe zählten drei davon: Neben den nun zerstörten Stralsunder Einbäumen seien dies die »Poeler Kogge« und das »Gellen-Wrack«, das bei Hiddensee gefunden wurde, so Bednorz. Die Kogge lagert nach seinen Worten sicher in Schwerin und Sassnitz. Das Gellen-Wrack liege im Museum Sassnitz, das demnächst wiedereröffnet wird.

Wieso aber ist die Sache nicht schon 2008 aufgefallen? Hat sich wirklich niemand gefragt, warum eine teure Gefriertrocknungsmaschine gekauft wurde und dann ungenutzt blieb? Was ist mit dem Geld für die Bearbeitung der Einbäume geschehen? Es gibt eine Menge unangenehme Fragen. Heute wird sich der Kulturausschuss im Landtag damit befassen. Die »Affäre« aber hat gerade erst begonnen.

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