Die Hölle im Orchestergraben

Im Dunkel vor der Opernbühne arbeiten die Musiker oft bei Lärmpegeln wie beim Start eines Jets Weniger Dröhnen und besserer Klang durch Stuttgarter Fraunhofer-Forscher

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.
Richard Wagner wollte keinerlei Ablenkung von seinem »Weihespiel« auf der Bühne. Deshalb führte er in seinem Bayreuther Festspieltheater nicht nur die völlige Verdunklung während der Aufführung ein, er perfektionierte zudem den bereits im Italien des 17. Jahrhunderts eingeführten Orchestergraben so weit, dass weder der Anblick des Dirigenten noch der Musiker die Zuschauer vom dramatischen Geschehen auf der Bühne und den Sängern ablenkt. Was für die Entwicklung des Musiktheaters durchaus positive Folgen brachte, wurde für die Opernmusiker zur Tortur. Denn mit Wagner kam auch die Zeit riesiger Orchesterbesetzungen. In dem engen Raum vor und unter der Bühne drängen sich zuweilen mehr als 100 Musiker. Neben der drangvollen Enge ist das Spielen im Graben auch mit hohen Lautstärken verbunden. Ein pensionierter Flötist des Königlichen Opernhauses in London schildert den Einsatz der hinter ihm platzierten Instrumente als »Schlag ins Genick mit einem stumpfen Gegenstand«. Lautstärken von mehr als 120 Dezibel (dB) im Orchestergraben sind bei Opern von Richard Wagner oder Richard Strauss durchaus drin. Zum Vergleich: ein Airbus 320 bringt es in 300 Metern Entfernung nur noch auf 85 dB. Kaum verwunderlich, wenn nach Umfragen der Deutschen Orchestervereinigung bei 71 befragten Klangkörpern jeweils bis zu 30 Musiker unter Lärmschäden leiden. Deshalb sahen unlängst einige Dirigenten bereits die Freiheit der Kunst in Gefahr, als ein Richtlinienentwurf der Europäischen Union bekannt wurde, der den Lärmschutz am Arbeitsplatz regeln soll. Danach soll die Höchstgrenze erlaubten Lärms bei 87 dB liegen. Nun könnte man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, Musik sei per definitionem kein Lärm. Doch dem Ohr ist das egal. Wer sein Berufsleben im Schallkegel der Trompeten oder Posaunen oder vor den Pauken zugebracht hat, wird auch von Musik taub bzw. leidet irgendwann an Tinnitus. Und das hat schon lange vorher negative Auswirkungen auf die Musik selbst. Denn wer sein eigenes Instrument vor lauter Krach nicht mehr richtig hören kann, spielt dann selbst lauter, so dass die Spielanweisung »forte« (stark, kräftig) in der Partitur dann leicht ins »fortissimo« umschlägt, wenn der Dirigent seine Musiker nicht im rechten Moment bremst. Doch manches müsste bei weitem nicht so schlecht sein, wie es derzeit in den meisten Opernhäusern ist. Denn eine Arbeitsgruppe des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Bauphysik hat inzwischen bereits in mehreren deutschen Theatern vorgeführt, wie man ohne millionenschwere Baumaßnahmen den Lärmpegel für die Musiker absenken kann und ganz nebenbei auch noch die Akustik im Orchestergraben wesentlich verbessert. Bei tiefen Töne werden so genannte Eigenresonanzen im Orchestergraben angeregt. Die teilweise Überdachung verschärft das Problem noch. Um das dabei entstehende Dröhnen abzustellen, gab es schon früher Versuche mit behelfsmäßig aufgestellten Trennwänden und schallabsorbierenden Materialien. Meist verbesserte sich die Klangtransparenz für die Musiker dadurch nicht wesentlich. Für den Akustiker Helmut Fuchs ist das wenig verwunderlich. Denn bisherige Absorber für tiefe Frequenzen sind so dick, dass der Platz für die Musiker knapp würde. Ganz anders die von den Fraunhofer-Forschern um Fuchs entwickelten Absorber. Diese so genannten Membran-Absorber und Verbund-Platten-Resonatoren schlucken vor allem die tiefen Frequenzen unter 160 Hertz. Weil sie nur 10 bis 15 Zentimeter tief sind, lassen sie sich auch ohne Komplettsanierung an den Wänden existierender Orchestergräben einbauen. Das erste Theater, dem Fuchs mit seinen Absorberplatten zu einem besseren Arbeitsklima für die Musiker verhalf, war das Große Haus des Staatstheaters Stuttgart. Laut Fuchs wurden nach vorangehenden Messungen die Absorber dort erst in der Sommerpause 1993 provisorisch eingebaut, um die Musiker vom Nutzen der Maßnahme zu überzeugen. Die Verbesserungen waren so deutlich, dass ein Jahr später an der Vorder- und Rückseite des Orchestergrabens Absorber für tiefe und hohe Frequenzen eingebaut wurden. Die Kosten - so Fuchs - liegen in einem Bereich, dass sie für vergleichbare Theater notfalls noch im Produktions-Etat Platz finden. Messungen ergaben, dass von dem Umbau nicht nur die Musiker profitieren. Auch für die Theaterbesucher ergaben sich an einigen Plätzen mess- und hörbare Verbesserungen. Inzwischen wurde auch der Saal für die Orchesterproben in Stuttgart mit solchen Platten nachgerüstet, die Orchestergräben in Mainz, Flensburg, Rendsburg, Schleswig, Duisburg und Koblenz bekamen inzwischen ebenfalls Besuch von den Fraunhofer-Akustikern. Für Fuchs ein klarer Beleg, dass man den Ohren der Musiker durchaus Gutes tun könnte, ohne der Musik zu schaden. Fuchs erinnert allerdings daran, dass die üblen Folgen schlechter Akustik nicht nur Musiker treffen. Auch Lehrer und Schüler würden von den derzeitigen Bauregelungen ähnlich schlecht behandelt.

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