Energie wie vor 500 Jahren
Wissenschaftler will »Oberharzer Wasserregal« reaktivieren
Wer den Harz schon mal zu Fuß durchstreift hat, kennt vielleicht das kilometerlange System von künstlich angelegten Gräben, Kanälen und Teichen entlang der Wanderwege. Die Anlagen stehen zwar unter Denkmalschutz, doch weil sie in den vergangenen 30 Jahren nicht mehr gepflegt und unterhalten wurden, droht das einmalige System buchstäblich zu versanden. Tourismus-Strategen bemühen sich nun um den Weltkulturerbestatus für das »Wasserregal«. Doch bei dem maroden Zustand der Kanäle sei das ein aussichtsloses Unterfangen, urteilt der Bonner Physiker Peter Welke.
Er regt deshalb an, das System aus Gräben und Auffangbecken zu reaktivieren und mit den alten Wassermühlen Strom zu erzeugen. Einige Millionen Euro jährlich könnte das nach Welkes Berechnungen einbringen – mehr als genug, um den Unterhalt der Anlagen zu finanzieren.
Im Harz wurde seit dem Mittelalter Silber abgebaut. Doch je tiefer die Bergleute die Schächte und Stollen trieben, desto schwieriger wurde es, die Gruben trocken zu halten. So genanntes Kluftwasser sickerte in die Bergwerke ein. Die Bergmänner trieben den Teufel schließlich mit dem Beelzebub aus. Sie nutzten die Wasserkraft zum Antrieb von Pumpen, mit denen sie anschließend ihre Gruben entwässerten.
Vor allem das Gebiet um die damals noch getrennten Bergstädte Clausthal und Zellerfeld war schon vor mehr als 500 Jahren ein Zentrum für regenerative Energie: »Drei Viertel allen Regens wurden zur Trockenlegung der Stollen und zum Betrieb der Bergwerke verwandt«, erläutert Welke. Über kilometerlange Gräben, die nur ein minimales Gefälle aufwiesen, leiteten die Bergleute das Wasser zu großen Sammelbecken. Und von dort bei Bedarf weiter in die jeweils aktiven Gruben, wo turmhohe Wasserräder Pumpen antrieben.
1930 machten die letzten Gruben im Harz dicht. Dennoch war das »Oberharzer Wasserregal« bis 1965 noch in einem guten Zustand. »Im Prinzip hätte man es damals ohne größeren Aufwand direkt wieder in Betrieb nehmen können«, meint Welke. Mitte der 90er Jahre gingen die Wassernutzungsrechte in der Region an die Harzwasserwerke GmbH. Im Gegenzug sollten diese das Grabensystem erhalten. Dennoch sind inzwischen zahlreiche Gräben teilweise trocken gefallen, undicht oder sogar völlig zerstört worden, sagt Welke, der die Schäden in einer 50-seitigen Publikation dokumentiert hat.
Der Wissenschaftler hält es gleichwohl für möglich, die Anlage wieder betriebsfähig zu machen. Er hat auch schon ausgerechnet, wie viel Strom das uralte Wasserkraftwerk liefern könnte: »Bei den augenblicklichen Preisen ließen sich damit Erlöse von mehreren Millionen Euro jährlich erzielen. Das ist mehr als genug, um die Instandhaltung zu finanzieren.« Auch Professor Winfried Schenk vom Geographischen Institut der Universität Bonn plädiert dafür, das einmalige Kulturdenkmal wieder herzurichten. »Warum sollte eine Anlage, die 500 Jahre lang zur Energieerzeugung eingesetzt wurde, das nicht auch heute wieder tun«?
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