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Die Saarländer wollen Müller nicht mehr

In Völklingen wurde die LINKE bei der Landtagswahl mit fast 30 Prozent stärkste Partei

  • Lesedauer: 4 Min.
Klaus Degen ist LINKE-Fraktionschef im Stadtrat von Völklingen. 18 Prozent hatte die Partei dort im Juni bei den Saar-Kommunalwahlen erreicht und damit für das höchste Stimmenergebnis in einer westdeutschen Stadt gesorgt. Zur Landtagswahl rangierte die Völklinger LINKE mit 29,6 Prozent nun vor allen anderen Parteien. Gabriele Oertel sprach mit dem 50-Jährigen.
Die Saarländer wollen Müller nicht mehr

ND: Lange bevor Rot-Rot im Saarland Thema war, haben Sie das in Völklingen schon familiär geprobt.
Degen: Stimmt. Ich bin 2004 aus der SPD ausgetreten, mein Zwillingsbruder war lange SPD-Fraktionschef und ist jetzt noch Stadtrat. Seit der Kommunalwahl im Juni bin ich Fraktionschef der LINKEN.

Warum haben Sie einen Parteienwechsel gewagt?
Ich wollte mich eigentlich politisch mich nicht mehr engagieren. Aber nachdem 2007 im Bundestag die Rente mit 67 beschlossen wurde und die LINKE die einzige Partei war, die dagegen gestimmt hat, habe ich mich entschlossen, mich der LINKEN anzuschließen.

Bei der Landtagswahl ist die LINKE in Völklingen stärkste Partei geworden. Woran liegt's?
Wir haben in Völklingen eine Besonderheit. Wir sind eine Stahlstadt und während der Stahlkrise 1990 und 1993 ging die Saarstahl AG in Konkurs. Da wurde Oskar Lafontaine, der damals SPD-Ministerpräsident war, hier zum Helden. Er hat dafür gesorgt, dass Saarstahl nicht zugemacht, sondern eine Stiftung gegründet wurde, in der 2000 Kollegen sozial abgefedert werden konnten. Ja, Oskar hat uns gerettet.

Und fast 30 Prozent der Völklinger danken es ihm mit ihrer Stimme für die LINKE?
Nein, natürlich nicht. Die Männer, die beim Stahl oder im Bergbau schuften, und die Frauen, die in den Krankenhäusern in Völklingen arbeiten, sind sauer über die Rente mit 67. Wir haben hier auch viel Armut, hohe Arbeitslosigkeit und sehr viele sozial Schwache. Die haben Hartz IV und all die anderen unsozialen Maßnahmen, die erst die Schröder-Regierung und dann die Große Koalition beschlossen haben, einfach satt.

Wie war eigentlich die Stimmung unter den Völklingern, als ihr Held vor zehn Jahren über Nacht zurück- und später aus der SPD ausgetreten ist?
Wir waren geschockt – die ganze SPD und die Bevölkerung waren geschockt. Viele von uns fragten, ob Lafontaine uns nun fallen gelassen hat. Die Hintergründe kannte ja zunächst niemand.

Die Liebe ließ sich neu beleben, als Lafontaine zur LINKEN ging?
Genau. Als er wieder politisch aktiv wurde und viele auch verstanden haben, dass er bei Schröder nicht mehr mitmachen konnte, hat man ihm verziehen. Ich auch.

Was können Sie denn mit den 18 Prozent im Stadtrat anfangen?
Die Bevölkerung konnte in den zwei Monaten unserer Stadtratstätigkeit zumindest sehen, dass die Lügen, die ständig über die LINKE verbreitet werden, nicht stimmen. Sie machte die Erfahrung, dass wir gar nicht radikal und auch keine Neinsager-Partei sind.

Was haben Sie mit der Fraktion schon auf den Weg gebracht?
In der ersten Stadtratssitzung haben wir die Geschäftsordnung der CDU-geführten Verwaltungsspitze – wir haben es mit einem CDU-Oberbürgermeister und einer CDU-Mehrheitsfraktion zu tun – abgelehnt. Diese Woche wurde eine neue Geschäftsordnung verabschiedet, wie wir sie wollten.

Und das heißt?
Wir haben durchgesetzt, dass alle kleineren Parteien in Ausschüssen mit Stimmrecht vertreten sind. Außerdem wollen wir, dass auch andere kleinere Fraktionen in Aufsichtsräte einbezogen werden.

Wie groß ist die LINKE in Völklingen inzwischen?
Wir haben jetzt 110 Mitglieder. In den letzten beiden Wochen sind schon wieder vier neue hinzugekommen.

Wie nimmt denn die SPD in Völklingen die neue Konkurrenz auf?
Die versucht, mit uns zu kooperieren und sich mit uns zu verbünden – fuchtelt uns aber auch hin und wieder dazwischen. Aber das ist eigentlich verständlich.

Wieso das?
Weil die LINKE ja eigentlich durch die schwache SPD entstanden ist. Durch die unsoziale Politik von Schröder und Müntefering sind wir stark geworden. Ob man da an die Hartz IV-Gesetze, die Gesundheits- oder Rentenreform oder an den Kriegseinsatz in Afghanistan denkt – alles Punkte, die die SPD mit zu verantworten hat.

Wie sollte die nächste saarländische Regierung aussehen?
Das Votum der Bürgerinnen und Bürger ist ganz klar: Die wollen Peter Müller und die CDU nicht mehr. Deswegen sollte man versuchen, Rot-Rot-Grün zu installieren.

Glauben Sie, dass Heiko Maas das Kreuz dazu haben wird?
Es wird schwer. Heiko Maas muss schauen, dass er das packt. Er ist ja im Saarland ein bisschen als Bubi verrufen, aber er könnte da schon reinwachsen. Ich bin sicher, SPD und LINKE werden sich einig. Das eigentliche Problem sind im Saarland die Grünen.

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