Perspektiven für die »Üfüs«

Im Spree-Neiße-Kreis (Brandenburg) erhalten ältere Langzeitarbeitslose ihr Selbstwertgefühl zurück

  • Harald Lachmann, Forst
  • Lesedauer: 4 Min.
Gerd Roloff (links) und Jörg Noack
Gerd Roloff (links) und Jörg Noack

Die Auftragslage hatte sich gut entwickelt, Gerd Roloff musste seine Service- und Recyclingfirma SRD in Drebkau bei Cottbus um vier Mitarbeiter aufstocken. Es ging um Entsorgungsdienstleistungen bei einem großen Büroartikelhersteller. Dafür brauchte er »positive Leute«, erinnert er sich: Menschen mit Lebenserfahrung, Verantwortungsgefühl und auch einem gewissen Standing gegenüber Jüngeren. Kurzum: Er suchte Leute ab 50.

Hier trafen sich Roloffs Interessen mit denen des Eigenbetriebs Grundsicherung für Arbeitssuchende beim Landkreis Spree-Neiße in Forst. Der engagiert sich seit 2008 sehr beherzt im Bundesprogramm »Perspektive 50plus«. Vier Kollegen sind Tag für Tag auf Achse, um bei Firmenchefs vorstellig zu werden. »Das sind um die tausend Betriebe, in denen wir kontinuierlich Akquise betreiben«, erzählt Jörg Noack, der junge Chef des Bereiches Hilfe zur Arbeit im Forster Sozialbetrieb.

Und es fruchtete offenbar schnell. Allein im Startjahr bekam man im Kreis 308 Langzeitjobsuchende über 50 in neue Arbeit. Sozialdezernent Hermann Kostrewa (SPD), zugleich Werkleiter im Eigenbetrieb, schreibt nicht zuletzt jener hohen Aktivierungsquote Älterer die deutlich gesunkenen Fallzahlen zu. Hinzu kamen 2008 weitere 268 Betroffene, denen sich über das Bundesprogramm »Kom-munal-Kombi« sowie 784, die über das Programm »Arbeit statt Grundsicherung« neue Perspektiven eröffneten. Gegenüber 2004 habe man so die Arbeitslosenquote von 22,6 auf 12,9 Prozent drücken können.

»In vielen Bereichen sind schon Fachleute rar, selbst Lkw-Fahrer werden knapp«, registriert Landrat Dieter Friese (SPD). Diesen Erfolg schreibt er einem ganzen Bündel von Dingen zu. So habe sich der Kreistag auf Kostrewas Vorschlag hin recht einmütig für das Optionsmodell entschieden und damit die Weichen für ein selbstbestimmtes Agieren mit kurzen Entscheidungswegen geebnet. Das überraschte selbst den Landrat. Denn seit er 1993 den aus vier Altkreisen zusammengebastelten Neukreis übernahm, muss sich der ebenso beinharte wie leidensfähige Sozialdemokrat ein ums andere Mal neue Mehrheiten suchen. Denn das Kreisparlament ist so zersplittert-zerstritten, dass keine zwei Fraktionen zusammen eine nötige Mehrheit haben. »Langweilig wird das nicht«, grient er. Umso mehr schätzt Friese gute Leute, denen Sachverstand über politische Schmalspur geht. »Und in der Kerntruppe um Jörg Noack haben wir solch ein Team!«, lobt er. Hierbei zahlt sich nach seiner Überzeugung ein hoher Laissez-faire-Faktor aus: »Wir gängeln die Leute nicht, schreiben wenig vor, geben ihnen die Chance, selbst etwas zu gestalten. Am Ende zählt der Erfolg, das motiviert sehr«, beobachtet er. Fachliche Assistenz käme überdies von der FH Cottbus.

Auch in der Lausitz läuft auf diesem schwierigen Terrain nichts auf Basis Friede-Freude-Eierkuchen. Wer im Metier steht, weiß: Langzeitarbeitslose sind eine spezielle Klientel, von selbstgerecht-aggressiv bis resignierend-selbstzweifelgeplagt. Da galt es sowohl subtilen Druck aufzubauen als auch neue Selbstwertgefühle, berichtet Noack. Man gab Motivationstraining, half, familiäre Nöte »bewerbungstaktisch« zu strukturieren, unterstützte gar bei der Outfit-Planung vor einem Bewerbungsgespräch.

Dass hier nach wie vor die größte Hürde liegt, erlebte auch Firmenchef Roloff. Gut 60 Leute bewarben sich bei ihm, mehr Jüngere als Ältere. Doch sie fielen alle durch, nicht nur wegen besagten Anforderungsprofils. Auch bei den Über-50-Jährigen (»Üfü«) war nicht jeder geeignet. Und bei jenen, die er einstellte, gab es fast immer zwei Anfangsprobleme: »Erstens ihr Selbstbewusstsein wieder stärken, zweitens sie ins Team integrieren.« Bisher gelang das bei allen. So tut er sich gerade nach einem neuen »Üfü« um. Denn erst einmal eingebunden, freut sich Roloff, seien sie hochgradig loyal, sehr umsichtig in der Arbeit und beim Fleiß Jüngeren oft um Längen voraus.

Übrigens gehört der Spree-Neiße-Kreis auch bei besagtem »Kommunal-Kombi«-Programm mittlerweile zu den bundesweiten Vorzeigebeispielen. Bezuschusst werden hierbei zumeist zusätzliche öffentliche Arbeitsplätze in Regionen mit besonders hoher und verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit. 79 Landkreise bzw. kreisfreie Städte erhalten auf diese Weise Geld aus Berlin; zwölf davon allein in Brandenburg.

Dass man in Spree-Neiße schnell Erfolge aufweisen konnte, begründet Kostrewa mit einem »soliden Frühstart«. Während andere Kreise erst mal beim Land schnorren gingen, wie viel von dort zu erwarten sei, brachte er zügig eine Kreistagsvorlage auf den Weg. Das Ergebnis war ein parteiübergreifender Konsens, durch Erhöhung der Kreisumlage 1,2 Millionen Euro als Eigenbeitrag für die Kommunal-Kombi locker zu machen. »Das bedeutete 300 Euro pro Stelle«, berichtet er. Hinzu kämen jeweils halt 500 Euro vom Bund und weitere 150 Euro vom Land. Die Kommunen und anderen Träger, die die Jobsuchenden nun drei Jahre beschäftigen, kommt so dieses Engagement im Schnitt nur 50 Euro im Monat teuer. Damit kamen nunmehr rund 400 Betroffene im Landkreis in neue – wenngleich befristete – Arbeit.

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