Lauschohren der Polizei so groß wie noch nie
Elf Prozent Anstieg bei offizieller Telekommunikationsüberwachung – Warnungen vor Dunkelziffer
Während es 2007 exakt 4806 Lauschverfahren gegeben hat, sind es im vergangenen Jahr 5348 gewesen. Diese Zahlen fischte die »Süddeutsche Zeitung« aus der Statistik des Bundesamtes für Justiz, in der Maßnahmen nach Paragraf 100a der Strafprozessordnung aufgelistet sind. Insgesamt seien 16 463 Mal Überwachungsmaßnahmen angeordnet worden.
Besonders stark ist mit 30 Prozent der Anstieg im CSU-regierten Bayern gewesen. Dort sind im vergangenen Jahr – neben bereits bestehenden Überwachungsmaßnahmen – 1023 neue Verfahren mit TK-Überwachung angeordnet worden. Platz zwei in der Statistik belegt das von der CDU regierte Baden-Württemberg mit 747 von der Justiz als neu registrierten Lauschaktionen.
Die Zahlen widerspiegeln nur einen Teil des Problems, das von der rot-grünen und der aktuell agierenden schwarz-roten Koalition über die parlamentarischen Gesetzeshürden gehoben wurde. Als Argument musste dabei zumeist die angebliche Gefahr terroristischer Aktionen herhalten. Die Daten beziehen sich lediglich auf Maßnahmen, die im Rahmen laufender Ermittlungs- und Strafverfahren mit konkretem Tatverdacht eingeleitet wurden. Abhöraktionen und Lauschangriffe der Polizei zu präventiven Zwecken sind nicht enthalten. Ebenso wenig erfasst sind Eingriffe der Geheimdienste in das Fernmeldegeheimnis. Die werden nicht von der Justiz kontrolliert, sondern von der G-10-Kommission des Bundestages (benannt nach Artikel 10 Grundgesetz) abgesegnet.
Jan Korte, Innenexperte der Bundestags-Linksfraktion, klingt nicht befriedigt, wenn er sagt: »Genau vor dieser Entwicklung haben wir inner- und außerhalb des Parlaments gewarnt.« Auch er verweist darauf, dass die großen Ohren der Polizei im Bereich Alltagskriminalität nur ein Bruchteil jener Angriffe sind, »mit denen die Demokratie unterhöhlt wird«. Korte betont, dass Aktionen der »Vorratsdatenspeicherung, der Onlinedurchsuchung sowie weiterer Angriffe vor allem der Geheimdienste nicht hingenommen werden dürfen«. Auf seiner Wahlkampftour in Sachsen-Anhalt sprach der Linksabgeordnete gestern von der Notwendigkeit, dass das zu wählende Parlament »sich dieser verhängnisvollen Entwicklung widersetzt« und beschlossene Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten »erneut auf den Prüfstand stellt«.
Dass die aktuellen Zahlen zur Telefonüberwachung »alarmierend« sind, bestätigt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Jörg van Essen. Er bewertet die Reform der Telekommunikationsüberwachung durch CDU/CSU und SPD als »gescheitert«. Die Bundesjustizministerin hätte bei der Verabschiedung des Gesetzes 2007 eine grundrechtsschonende Strafverfolgung versprochen. Die Begrenzung auf schwere Straftaten sollte zur Eindämmung der Überwachung führen. Das Gegenteil ist eingetreten. Obwohl 2008 die Kriminalität zurückgegangen ist, sind die Telefonüberwachungsmaßnahmen erheblich angestiegen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Sachsen-FDP im Koalitionsvertrag mit der CDU offenbar keine Probleme bei mehr Telekommunikationsüberwachung erkennen kann.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, mag keine Tendenz zum Überwachungsstaat erkennen und Wolfgang Bosbach, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat eine einfache Erklärung für den Anstieg parat: »Es wird einfach mehr telefoniert.« Seltsam einmütige Zustimmung zu der Lauscherei kommt von den beiden konkurrierenden Polizeigewerkschaften GdP und DPolG.
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