SPD-Basis will mehr Sozialdemokratie wagen
Sehnsucht nach Comeback von Andrea Ypsilanti
In Rheinland-Pfalz, wo die Partei unter Ministerpräsident Kurt Beck seit 2006 mit absoluter Mehrheit regiert, war der Absturz auf nur noch 23,8 Prozent der Zweitstimmen besonders schmerzhaft. Weil die SPD-Mitglieder in großer Mehrheit »die politische Schieflage, insbesondere bei der Rente ab 67 und Hartz IV, nicht mittragen«, fordert der rheinland-pfälzische Landesvorstand der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen weitreichende Konsequenzen. So müssten Vorstand und Präsidium der SPD sofort geschlossen zurücktreten. Der neue Fraktionschef Steinmeier solle den Weg für einen Nachfolger ohne Agenda-Vergangenheit freimachen. In der Satzung müsse verankert werden, »dass auf allen Parteitagen nur noch 50 Prozent Berufspolitiker aller Art vertreten sein dürfen«.
Die SPD müsse »wieder die Frage nach der gerechten Vermögensverteilung stellen und soziale Sicherung garantieren«, forderte Michael Simon, Landessprecher des Forums Demokratische Linke 21 in Rheinland-Pfalz. Die Partei brauche jetzt »eine intensive Diskussion über ihre inhaltliche, strategische, personelle und organisatorische Erneuerung« und könne »nur als linke Kraft wieder erfolgreich« sein. Dazu gehöre vor allem eine »Abkehr von der Basta-Politik, wie sie Schröder, Müntefering und Clement in der Partei und zum Schaden der SPD verankert« hätten, erklärte Simon auf ND-Anfrage. Die SPD-Linke hofft nach Simons Angaben, dass die neue Partei- und Fraktionsführung mit der Linkspartei trotz Konkurrenzsituation inhaltliche Übereinstimmungen sucht und »im Interesse des sozialen Fortschritts nach Möglichkeit kooperiert«.
Auch in der Hessen-SPD, die am Wahltag auf 25,6 Prozent zurückgeworfen wurde, meldeten sich kritische Stimmen. »In der Ära Müntefering wurden in kleinen Kungelzirkeln einzelne Personalentscheidungen ausgeknobelt und durch Parteitage abgenickt«, kritisierte Juso-Landeschef Björn Spanknebel in der »Frankfurter Rundschau«. Die Bundes-SPD könne »von Hessen lernen«, erinnerte Spanknebel an die Landtagswahl 2008, als seine Partei mit einem etwas linkeren Programm gegen den Bundestrend gut acht Prozent hinzugewonnen habe. Leider habe die SPD-Führung in Berlin neue Denkansätze wie die Bürgerversicherung und ein Umsteuern auf regenerative Energien »nicht gewollt«, beklagte der Juso-Landeschef. Er forderte eine herausgehobene Rolle für die frühere SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti, die vor einem Jahr mit dem Versuch einer rot-grünen Regierungsbildung mit Tolerierung durch die LINKE an vier Abweichlern in den eigenen Reihen gescheitert war. Die Bundespartei habe damals für das Gelingen des angedachten Regierungswechsels »nichts getan«, kritisiert Spanknebel. Ypsilanti, die seit der Landtagsneuwahl Anfang 2009 zurückgezogen auf der Hinterbank sitzt, hat noch zahlreiche Fürsprecher in der Landes-SPD. So plädierten auch drei Landtagsabgeordnete dafür, dass Ypsilanti wieder eine größere Rolle spielen solle. Die Partei dürfe »Ypsilanti nicht in der 3. oder 4. Reihe sitzen lassen«, sie sei »eine der stärksten Politikerinnen, die wir haben«.
Die (inoffizielle) »Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD« möchte nach eigenen Angaben »mehr Sozialdemokratie wagen« und fordert, dass der Parteitag im November in Dresden keine neue Führung wählt, sondern eine konsultative Mitgliederbefragung über die von den Delegierten vorgeschlagenen Kandidaturen und eine Beteiligung der Parteigliederungen an der inhaltlichen Ausgestaltung der Politik einleitet. Für SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer ist das neue Personaltableau ein »bisher einmaliger Akt der Selbstnominierung einer neuen SPD-Parteiführung durch einen kleinen, von niemandem autorisierten Personenkreis.« Damit sei »überfallartig« jedwede Willensbildung in den Parteigremien übergangen worden, sagte Scheer gegenüber »stern.de« und sprach in diesem Zusammenhang sogar von »Ämterpiraterie«.
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