Gewerkschaften beschwören ihre alte Stärke
Mit der Machtübernahme von Schwarz-Gelb droht eine Beschneidung von Arbeitnehmerrechten
Noch in den Tagen und Wochen vor der Wahl hatten sich die DGB-Gewerkschaften lautstark für einen Politikwechsel und insbesondere gegen die FDP positioniert. Die IG Metall hatte Anfang September zur »größten Wählerveranstaltung der Republik« bundesweit 45 000 Mitglieder nach Frankfurt am Main mobilisiert. »Klar zur Wahl gegen marktradikal« forderte eine ver.di-Flugschrift.
Viele Gewerkschaftsführer hatten spekuliert, dass sich das »kleinere Übel« einer Großen Koalition fortsetzen lasse, doch die Hoffnung, über einen kurzen Draht zu befreundeten SPD-Ministern im Kabinett auf ein »offenes Ohr« zu stoßen, ist nun dahin. »Für die Arbeitnehmer und ihre Familien kein gutes Ergebnis«, kommentierte IG Metall-Chef Berthold Huber den Wahlausgang. Es sei anzunehmen, »dass dann wieder marktradikale Vorstellungen die Politik bestimmen«, so der Metaller.
Auch der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, befürchtet nun, dass eine gestärkte FDP »viele soziale Fortschritte wieder rückgängig machen« werde. Vordergründig hoffen viele Gewerkschaftsvorstände noch darauf, dass die Kanzlerin dem Drängen neoliberaler Hardliner in FDP und Union nicht nachgibt und die Gewerkschaften »ins Boot holt«. An diesen Geist der Partnerschaft und früherer »Kamingespräche« im Kanzleramt appelliert auch Huber, wenn er feststellt: »Deutschland ist immer dann gut gefahren, wenn Kooperation und nicht Konfrontation die Politik beherrschten.«
Der Ton wird schärfer
Ver.di-Chef Frank Bsirske hofft auf einen stärkeren Einfluss des »Arbeitnehmerflügels« in der Union. Doch der dürfte unter Schwarz-Gelb sehr begrenzt sein. Ob etwa der für den hessischen Wahlkreis Offenbach neu in den Bundestag gewählte ver.di-Mann Peter Wichtel nun in Berlin kraftvoll für Arbeitnehmerinteressen streitet und als neuer »Ottmar Schreiner der CDU« den Neoliberalen in Union und FDP die Stirn bieten wird, ist fraglich. Wichtel, Betriebsratschef beim Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und seit 35 Jahren Gewerkschaftsmitglied, hat sich in den letzten Jahren vor allem als Lobbyist für den Flughafenausbau einen Namen gemacht.
So dämmert es auch führenden Gewerkschaftern, dass angesichts einer Mehrheit von Schwarz-Gelb in Bundesrat und Bundestag die Hardliner die Wunschkataloge der Unternehmerverbände rasch abarbeiten wollen. »Falls die neue Regierung einen Weg einschlagen sollte, der die sozialen Konflikte verschärft, wird sie die Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften herausfordern«, warnte Bsirske in einem Zeitungsinterview. Gegen Steuergeschenke für die Wohlhabenden und Unternehmen und Ausgabenkürzungen zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung drohte der bayerische NGG-Landesvorsitzende Hans Hartl den massiven Widerstand seiner Gewerkschaft an. »Auf die eigene Stärke besinnen«, so das Motto der NGG, die jetzt auf die Betriebsratswahlen im Frühjahr 2010 orientiert.
Ein Blick zurück in die 80er und 90er Jahre ist aufschlussreich. Denn auch in 16 Jahren schwarz-gelber Regierung von 1982 bis 1998 mussten sich die Gewerkschaften mehr auf die eigene Stärke besinnen; sie erwiesen sich als durchaus streik- und mobilisierungsfähig.
Ruf nach politischem Streik
In harten Arbeitskämpfen für die Metall- und Druckindustrie wurde die 35-Stunden-Woche erreicht. 1996 provozierte schwarz-gelber Sozialkahlschlag Massenproteste und eine DGB-Demonstration in Bonn mit über 350 000 Teilnehmern. Die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall löste eine Streikwelle aus wie seit 25 Jahren nicht mehr. »Lieber französische Verhältnisse als amerikanische Zustände« war in aller Munde.
Der sich anbahnende »Flächenbrand« wurde dann aber wieder gelöscht, nachdem die Gewerkschaften in vielen Tarifverträgen als Kompensation für die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Zugeständnisse bei anderen Lohnbestandteilen machten und effektiven Einkommenskürzungen zustimmten. Doch schon wenig später, im März 1997, belagerten zehntausend Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet und Saarland aus Protest gegen Subventionskürzungen und Angst um ihre Arbeitsplätze tagelang das Bonner Regierungsviertel. All dies steigerte die Wechselstimmung im Lande und bescherte der Regierung Kohl 1998 eine historische Niederlage.
Weil die Zeiten jetzt noch ungemütlicher und stürmischer werden dürften als in den 1990er Jahren, hat die IG BAU Mitte September auf ihrem Kongress die Forderung nach Legalisierung des politischen Streiks in ihre Satzung aufgenommen. Dies geschah gegen den Willen des Vorstands. »Die Mitglieder erwarten von uns, dass wir politisch etwas tun, stellte ein Delegierter des antragstellenden Bezirks Wiesbaden fest. Armin Hänsel vom Bezirksverband Südbaden erklärte, er wolle den politischen Streik, »weil wir ansonsten nicht mehr weiterkommen oder sogar zurückfallen in eine Zeit vor 140 Jahren«.
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