»Wir wollen kein Mitleid erzeugen«
Ein Gespräch mit dem Solibündnis zum Abschluss des »mg«-Prozesses über zwei Jahre Arbeit
ND: Was ist Solidarität für Sie?
Christian Winter: Schwer, das in wenigen Worten zu sagen. Ich versuche es mal so: Die Tatsache, dass Menschen dafür, dass sie für eine bessere Gesellschaft kämpfen, lange Jahre eingeknastet werden, ist für mich Grund genug für Solidarität. Wäre ich nicht solidarisch, würde ich meine eigene Identität verleugnen.
Selbst eine linke Öffentlichkeit interessiert sich nur phasenweise für politische Prozesse. Trifft das auch für die Zahl der Mitstreiter in der Soligruppe zu?
Klar, heute ist nicht mehr dieselbe Besetzung aktiv wie am Anfang. Je länger ein Prozess dauert, desto mehr nimmt das Interesse ab. Allgemein ist zu beobachten, dass politisches Engagement weniger wird. Das hat auch mit den verschärften sozialen Verhältnissen zu tun. Damit haben wir natürlich ebenfalls zu kämpfen. Eine kontinuierliche Arbeit erfordert viel Zeit und Kraft. Das scheitert zum Teil an persönlichen Ressourcen und vielleicht wird es irgendwann auch ein bisschen langweilig. Das sage ich zwar ungern, aber es ist wahrscheinlich so.
Worin besteht Ihre Soliarbeit?
Seit zweieinhalb Jahren treffen wir uns einmal wöchentlich. Ein Schwerpunkt sind natürlich die drei Betroffenen selbst: Das bedeutete, sie in der Untersuchungshaft zu besuchen, eine Prozesszeitung herausgeben, mit Berichten auf unserer Website über den Prozess informieren. Das ist klassische Soliarbeit. Darüber hinaus thematisieren wir die politische Dimension der Verfahren. Wir machen also unter anderem Infoveranstaltungen zu Antimilitarismus oder auch zu den Paragrafen 129 a und b.
Rechnen Sie damit, wegen der Soliarbeit überwacht zu werden?
Ich gehe davon aus, dass unsere Aktivitäten verfolgt werden. Wenn man sich zu militanten Aktionen verhält, muss man damit rechnen, von staatlichen Überwachungsmaßnahmen betroffen zu sein. Die Repression hindert Menschen auch daran, Solidarität zu zeigen, zum Beispiel zu den Prozessen zu gehen.
Wie geht die Soligruppe mit diesen Befürchtungen um?
Man kann das nicht verhindern. Ich habe für mich entschieden, das in Kauf zu nehmen.
Das Einstellungsbündnis unterstützt nicht nur die drei Männer vor Gericht, sondern sagt auch: Mit der mg verbindet uns sehr viel. Die Aktionen der mg sind umstritten. Das könnte für manche ein Hindernis sein, sich den Soli-Aufrufen anzuschließen.
Das ist gar nicht unsere Erfahrung. Bei der Afghanistan-Demonstration im letzten Jahr haben wir Teilnehmer aus der klassischen Friedensbewegung explizit nach den Brandanschlägen auf Bundeswehr-Lkw gefragt und von ihnen viel Zuspruch erfahren. Auch bezüglich des – wie wir es nennen – Abrüstens von Militärfahrzeugen.
Außerdem werben wir ja nicht für eine Mitgliedschaft bei der mg. Für uns als Bündnis spielt es keine Rolle, ob die drei Angeklagten Mitglieder der Gruppe sind. Aber wir finden es richtig, sich zu den Vorwürfen zu verhalten und Anknüpfungspunkte zu schaffen. In Irland zum Beispiel wurden Aktivisten freigesprochen, die Kampfflugzeuge zerstört haben. Die Begründung des Geschworenengerichts: Das vernichtete Kriegsmaterial könne woanders keinen Schaden mehr anrichten.
Nach 1.-Mai-Randalen oder den letzten NATO-Protesten war auch in der Linken von Grenzen der Solidarität die Rede. Haben Sie dafür Verständnis?
Natürlich findet man nicht jede Aktion richtig. Aber diese Entscheidung hat für mich nichts mit der Frage der Solidarität zu tun.
Veröffentlichungen des Solibündnisses könnten Auswirkungen auf das Verfahren haben. Wie gehen Sie damit um? Sprechen Sie alles mit den Anwälten ab?
Die Voraussetzung unserer Soliarbeit ist das Einverständnis und die Kommunikation mit den Betroffenen. Verfahrensrelevante Sachen sprechen wir natürlich ab, auch mit den Anwälten.
Woher weiß man, was relevant sein könnte?
Das weiß man natürlich nicht immer. Wir haben den Eindruck, dass unsere Arbeit einen relativ großen Einfluss auf das Verfahren hatte. So haben sich etwa die Zeugen von LKA und BKA auf unseren Seiten informiert.
Keine Angst, ihnen belastende Argumente zu liefern?
Am Anfang war es in der Tat umstritten, ob wir eine Prozessberichterstattung machen. Wir haben daher versucht, unsere Texte eher journalistisch als politisch wertend zu gestalten. Insgesamt war es uns aber wichtiger, die Öffentlichkeit zu informieren, auch wenn der eine oder andere Zeuge oder die Staatsanwaltschaft unsere Seite lesen und ggf. Rückschlüsse auf das Verfahren ziehen. Die große Öffentlichkeit, die das Verfahren hat, wurde sogar vom Gericht erwähnt. Sie wirkt sich unserer Einschätzung nach ausschließlich positiv aus.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit um die mg-Ermittlungen stand bisher der Soziologe Andrej Holm und seine Erfahrungen mit Rundumüberwachung. Die drei Männer, die vor Gericht stehen, sind dagegen fast unbekannt. War das eine bewusste Entscheidung?
Wir versuchen durchaus bewusst, die drei Personen mit ihren privaten Geschichten herauszuhalten. Die Fälle liegen eben auch anders. Andrej hatte als Wissenschaftler von vornherein ein anderes Spektrum im Rücken. Zudem wird ihm nicht vorgeworfen, auf frischer Tat ertappt worden zu sein. Deshalb kann er ganz anders auftreten.
Mehr »human touch« könnte aber auch hilfreich sein, um Solidarität zu mobilisieren.
Das stand nie zur Diskussion. Wir wollen kein Mitleid erzeugen, weil daraus keine kontinuierliche Solidarität erwächst. Was der einzelne beruflich macht, spielte nur bei Andrej eine Rolle, weil seine wissenschaftlichen Texte den Verdacht gegen ihn begründen. Der Überwachungsalltag trifft übrigens auf die anderen genauso zu.
Am Freitag geht der Prozess zu Ende. Die drei müssen wohl ins Gefängnis. Wie fühlt sich das an nach zwei Jahren Soliarbeit?
Sicher ist das frustig, aber es überrascht auch nicht. Das Verfahren war unfair, bis zum Schluss: Am Mittwoch und Donnerstag sind die Plädoyers der Verteidiger vorgesehen. Schon am Freitag folgt das Urteil. Es ist also vollkommen egal, was die Anwälte noch sagen. Das Urteil steht lange fest. Ich denke, unsere Arbeit hat den Angeklagten genutzt. Dennoch war ich nie so verwegen zu glauben, dass allein Solidaritätsarbeit zu Freisprüchen führen kann.
Kundgebung zur Urteilsverkündung am 16. Oktober, 11 Uhr, Kammergericht Berlin, Turmstr. 91
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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