Blumentöppe für die Senatorin
Freiwillig verabschiedet sich die Linkspolitikerin Heidi Knake-Werner in Berlin aus der rot-roten Landesregierung
»15 Uhr nicht, wahrscheinlich 17 Uhr.« Ausschusssitzung Arbeit und Soziales. Es geht um den Berliner Haushalt. Je weniger zu verteilen ist, um so länger dauert es offenbar. »Es wird doch nichts mehr, besser morgen. Vielleicht nach der Abteilungsleitersitzung…« Noch so manches mehr findet sich auf dem Terminplan. Dass das ihre letzten Tage im rot-roten Senat sind, mag man nicht glauben. Es sollte leichter sein, mit einer scheidenden Senatorin Termine zu finden.
Freiwillig vom Bund ins Land
Als wir es endlich geschafft haben, räumt sie noch ihr Büro im vierten Stock der Senatsverwaltung in der Kreuzberger Oranienstraße auf und aus. Hinter dem breiten Schreibtisch an der Stirnseite steht eine große Kiste. Die füllt sich. Der Schrank mit den Akten hinter den Glastüren ist noch unberührt. Mit dieser Ablage, so spotten Mitarbeiter, komme nur deren Schöpferin persönlich zurecht. Sie wird wohl davon lassen müssen und zuckt mit den Schultern. Die Bilder freilich nimmt sie mit nach Haus. Den geliebten Hundertwasser sowieso und natürlich El Lissitsky von 1919 »Schlagt die Weißen mit dem roten Keil«. Das klingt stark und sieht auch so aus.
Ein starkes Ministerium ist Soziales traditionell nicht. Ausgerechnet mit dem fröhlichen Hinweis, »Da kannst Du keinen Blumentopp gewinnen« begann einst Freund und Kollege Gregor Gysi, der sich in Berlin auch mal als Wirtschaftssenator versuchte, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der PDS-Bundestagsfraktion abzuwerben. Wahrscheinlich weniger seiner Überzeugungskraft war ihr Einstieg geschuldet, mehr wohl »meiner ganzen politischen Entwicklung«. Ein »Gespür für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit« führte sie in Gewerkschaften, in SPD und DKP und dann zur PDS.
»Es ist meine Entscheidung«, sagte Heidi Knake-Werner am 12. Juli dieses Jahres vor eilig herbeigerufenen Journalsiten. Da ging es um die Bekanntgabe des Rücktritts, weil sie meinte, es sei an der Zeit. Die Information drohte durchzusickern, sie kam zuvor: »Ich wollte Frau des Geschehens bleiben.«
Knalliges Rot als Markenzeichen
Solches galt Anfang 2002 nicht minder. Der große Schritt quasi hinunter aus der Bundes- in die Senatspolitik und damit aus der Hauptstadt in das Bundesland Berlin war eigener freier Wille. So einen hat nicht jeder, angekommen ist schließlich angekommen. Doch Heidi Knake-Werner bewunderte den spannenden und allseits umstrittenen Versuch einer rot-roten Koalition in Berlin. Es aber nur toll finden und sich selbst dann raushalten? Sie wechselte. »Ich fand einfach, das muss ich tun.« Sie tat es, und sie hielt durch.
Das erste halbe Jahr tauchte der Name Knake-Werner in Berliner Zeitungen fast nur mit dem Etikett »ehemals DKP« und dem Hinweis auf eine Weiterbildung im einst sowjetischen Moskau auf. Das sollte sicher antikommunistische Reflexe auslösen, mit Schauder der Abschreckung dienen. »Die sind da gar nicht fein«, sagt sie. Das Landesparlament habe dem seine »ganz besondere Note« hinzugefügt. So etwas wie in diesem Abgeordnetenhaus habe sie in acht Jahren Bundestag nicht erlebt, schaut Heidi Knake-Werner zurück. Das sei nicht »ein bisschen Kalter Krieg« oder eben Opposition gewesen, sondern »provinziell, kleingeistig und unanständig«. Dem sei sie kaum gewachsen gewesen und habe es die ganze Zeit nicht gut weggesteckt. Das sei vielleicht ihre größte Schwäche, gesteht sie.
Abgesehen von den Grünen rührte sich unlängst bei CDU und FDP keine Hand, als Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) die langjährige Senatorin mit einigen freundlichen Worten bedachte. Der Abschied war zuvor längst mit einiger Rotzigkeit flankiert worden. Hinweise auf einen »fachlichen Totalausfall« wurden im Zeichen oppositioneller Gnadenlosigkeit garniert mit »enormer Mittelverschwendung«, einer eher ungewöhnlichen Kombination von »Panikmache« und »Verharmlosung«. Die lange Amtszeit erklären solche schwarz-gelben Feingeister daraus, dass »niemand Besseres in Sicht« gewesen sei. Ob diese Senatorin deshalb den einzigen richtig knallroten Dienstwagen im Senat fährt? Ihre ebenso leuchtende Aktentasche ist ein Geschenk ihres Mannes zum Amtsantritt, immer dabei und ihr Markenzeichen.
Eigene Genossen und vor allem Betroffene haben eine andere Sicht auf Leistung und Verdienst der gelernten Sozialwirtin. Sie brauchen beim Aufzählen des Erreichten einen langen Atem: Als ganz großer Brocken gehört die Sanierung und eben nicht die Privatisierung des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes in die Bilanz. Da war Knake-Werner Gesundheitssenatorin. Tausende Menschen im Öffentlichen Beschäftigungssektor können ihr danken, Asylbewerber für Geld statt Gutscheinen. Jetzt schon 400 000 Bedürftige kommen mit dem Berlin-Pass in ein Leben hinein, aus dem sie sonst ausgeschlossen blieben – in Einrichtungen für Kultur, Sport, Freizeit, Bildung. Senioren wirken mit per Gesetz, Integration hat ein Konzept und für Drogenkranke sind Druckräume da.
Zu ihrer Klientel in Berlin zählt die Sozialsenatorin alle, die von Zuwendungen abhängig sind. Jene mit sehr niedrigen Löhnen, die »Aufstocker«. Dazu kommen etwa 70 000 Menschen, die unter schwierigeren Bedingungen als Sozialhilfe und Hartz IV leben. Insgesamt fast eine Million Menschen. Zähigkeit bescheinigen ihr Freunde und Gegner. Immerhin rang sie Finanzsenator Thilo Sarrazin Mittel ab, wehrte sich gegen Zwangsumzüge für Hartz IV-Opfer so lange, bis sie selbst bundespolitischen Zwängen nachgeben musste.
Es geht um Menschen, nicht um Räume
Niederlagen sind »nicht prickelnd«, weiß Heidi Knake-Werner. Doch es »hat alles auch was gebracht«. Sie sei viel unterwegs und habe »unheimlich viel zurückbekommen«. Beim Landesseniorenbeirat sei es so anrührend gewesen, dass es »mir schon wieder ein bisschen viel war«. Sie habe ja nah am Wasser gebaut. Jemand rufe an, es komme ein Brief. Blumen mit und ohne Topf schmücken das Büro. »Irgendwie kriege ich jeden Tag irgendwo Blumen, weil jemand Dankeschön sagen will und es sei vielleicht das letzte Mal«.
Routiniert ist Heidi Knake-Werner aber doch. Sie weiß besser um die Dialektik von Absicht und Wirklichkeit, Schwierigkeiten des Regierens. Das hat nicht zuletzt mit eigenen Genossen zu tun. Von der Führung bis zur Basis. Was sind die Berliner für ihre Regierungsbeteiligung gescholten worden. Jetzt machten nicht selten die selben Genossen mit Berliner Erfolgen und Ideen Wahlkampf. Niemals freilich hat die Genossin, die aus dem Westen kam, ihre erste Veranstaltung im Stadtteil Pankow vergessen. Sie wolle das Sozialticket wieder erkämpfen, sagte sie, und ein älterer Genosse ging ans Mikrofon und fragte: »Kannst Du das nicht einfach durchstellen?«
Selbst wenn es gegangen wäre, war das ihre Sache nicht. Heidi Knake-Werner setzt auf Gespräch. Es wird mit den Betroffenen geredet, sie will dann »Lösungen suchen und nicht Probleme definieren«, sagen Kenner. Langjährige Mitstreiterinnen kennen auch die Vorliebe der Chefin für flache Hierarchien: »Wer zuerst in der Tür steht, der hat die Aufgabe.«
Wenn es irgend geht, holt sie die Menschen zu sich oder geht hin. Das ist in diesem Amtssitz nicht einfach. Noch heute hat die Hausherrin Probleme, in den verwirrenden Gängen ihres verwinkelten Amtssitzes mit den überraschenden Abzweigungen von A nach B zu gelangen. »Ich wollte die Menschen kennen lernen«, entschuldigt sie sich, »nicht die Räume, in denen sie sitzen.«
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