Pflegeversicherung wird privatisiert
Schwarz-Gelb kündigt den Solidarpakt auf und schanzt Konzernen Milliardengewinne zu
Und wieder stirbt ein Stück Sozialstaat. Wie am Mittwoch bekannt wurde, wollen Union und FDP die Pflegeversicherung zum Teil privatisieren und den Arbeitgeberanteil wohl ganz streichen. Somit würden Unternehmer entlastet, während man die Risikovorsorge einseitig den Beschäftigten aufbürdet. Um die Finanzierung der Pflege zu sichern, so hieß es gestern aus Koalitionskreisen, sollen die Bürger mehr für ihre Versicherung zahlen. Zwar wolle man »neben dem bisherigen Verfahren einen sachten Einstieg in die Kapitaldeckung«, versprach der FDP-Pflegeexperte Heinz Lanfermann. Doch der erste Schritt in die vollständige Privatisierung ist getan, wie Klaus Ernst, der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, kritisierte. »Mit ihren Plänen zur Reform der Pflegeversicherung kündigen Merkel & Co. den Solidarpakt endgültig auf«, so Ernst.
Der Umbau des Systems beginnt jedoch vorsichtig. Nach dem Willen der Koalitionäre soll neben dem Beitrag zur umlagefinanzierten Pflegeversicherung eine private Zusatzversicherung eingeführt werden, »die verpflichtend ausgestaltet sein muss«. Das heißt nichts anderes, als dass Arbeitnehmer per Gesetz zum Abschluss privater Versicherungen genötigt werden. Unklar ist derzeit noch, ob der Zusatzbeitrag pauschal oder individuell nach Verdiensthöhe erhoben wird. Sollte der Beitrag pauschalisiert werden, wäre das nicht nur die Einführung einer Kopfpauschale durch die Hintertür. Solche Pauschalbeträge, die sich nicht nach der Einkommenshöhe richten, würden es den Arbeitgebern leichter machen, sich ganz aus der Pflegeversicherung stehlen. Derzeit beträgt der Beitrag zur Pflegeversicherung, den sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen, 1,95 Prozent vom Monatsbrutto. Rentner und Selbstständige zahlen den vollen Betrag aus eigener Tasche.
Da die Versicherung aber schon jetzt nicht alle Kosten vollständig abdeckt, waren schon bisher viele Arbeitnehmer gezwungen, private Zusatzversicherungen abzuschließen. Dabei ist die private Vorsorge äußerst umstritten. So warnen Verbraucherverbände, dass der Versicherungsschutz und das eingezahlte Geld verloren gehen, wenn der Versicherte längere Zeit erwerbslos ist. Die Privatversicherungen behalten dann das Geld einfach ein. Außerdem sind die Monatsbeiträge bei den Privaten sehr hoch: Zwischen 50 und 100 Euro hat nicht jeder Arbeitnehmer übrig; zumal viele bereits in eine private Zusatzrente einzahlen.
Doch Schwarz-Gelb will nicht nur Pflege privatisieren, auch das Gesundheitssystem könnte noch stärker als bisher auf Privatisierungskurs gebracht werden. Eine erste Entscheidung, die den privaten Krankenversicherern neue Kunden zutreibt, haben die Koalitionäre bereits getroffen. Die Wartefrist für Arbeitnehmer, die die Beitragsbemessungsgrenze erreichen und zu einer Privatkasse wechseln wollen, soll demnächst verkürzt werden. Hatte die scheidende SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch durchgesetzt, dass Arbeitnehmer mindestens drei Jahre warten müssen, will Schwarz-Gelb die Frist auf ein Jahr verkürzen. So werden junge, gesunde und finanzstarke Arbeitnehmer noch schneller ins System der Privatversicherungen flüchten. Die gesetzlichen Kassen haben das Nachsehen, bleiben bei ihnen doch die Geringverdiener, Alten und chronisch Kranken. Da werden bei AOK und Co. wohl bald Zusatzbeiträge fällig – zu zahlen von den ohnehin nicht so vermögenden Versicherten.
Andererseits könnte der Staat natürlich weiterhin den defizitären Gesundheitsfonds bezuschussen. Geld dafür wird gerade organisiert: Im Schattenhaushalt, den Union und FDP nun einrichten wollen, um das Sozialsystem zu stabilisieren, ließe sich der eine oder andere Milliardenbetrag prima verstecken.
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