Fliegender Wechsel nach Berlin
Nicole Gohlke von der LINKEN ist die einzige Frau, mit der Bayerns Landeshauptstadt im neuen Bundestag vertreten ist
»Sehr geehrte Frau Kollegin, nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind Sie in den Deutschen Bundestag gewählt worden.« Nicht viele Menschen erhalten so einen Brief, genau genommen nur 622. So viele Abgeordnete gehören dem neu gewählten 17. Bundestag an, und eine davon ist Nicole Gohlke. Die 33-jährige Münchnerin zieht zum ersten Mal für die Partei DIE LINKE in den ehemaligen Reichstag ein, und ist die einzige Frau, mit der Bayerns Landeshauptstadt in Berlin vertreten ist.
»Wir waren vom Wahlergebnis schon überrascht«, sagt die frisch gebackene Abgeordnete in Hinblick auf Sonntag, den 27. September dieses Jahres. An diesem Wahlsonntag gaben 6,5 Prozent der Wähler in Bayern ihre Stimmen der Linkspartei und veränderten so auch das Leben von Nicole Gohlke: Sie stand auf Platz fünf der Landesliste, insgesamt sechs LINKE-Abgeordnete fahren aus Bayern nach Berlin. In München hatte die CSU mit einem Schlag alle Direktmandate gewonnen und so auch den letzten SPD-Kandidaten, der im Münchner Norden bisher sein Mandat verteidigt hatte, aus dem Feld geschlagen.
Neben einem Grünen-Abgeordneten ist somit die Landeshauptstadt links von CSU und FDP nur mit der Abgeordneten der LINKEN vertreten. Natürlich will Nicole Gohlke neben ihren Aufgaben in Berlin auch in ihrer Heimatstadt präsent sein: »Ich finde sehr spannend, die regionale Ansprechpartnerin für Gruppen aus dem außerparlamentarischen Bereich zu sein.« Aufgewachsen ist die neue Bundestagsabgeordnete in München-Giesing, einem alten Arbeiterviertel, das sich nach Süden hin zum bürgerlichen Harlaching wandelt. Hier steht noch immer das alte 1860-Fußballstation. Und die »60er« sind bis heute eher der Prolo-Klub der Stadt.
Von 1996 bis 2003 studierte Gohlke in München Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität und arbeitete nach dem Studium in verschiedenen Event-Agenturen. Seit 2008 war sie Mitarbeiterin der Bundestags-Fraktion der LINKEN. Politisiert wurde die damalige Schülerin durch den sogenannten Zweiten Golfkrieg, als im Jahr 1991 die USA militärisch in Irak eingriffen. Nicole Gohlke nahm das als politisches Thema wahr und engagierte sich in der Anti-Kriegs-Bewegung. Es folgten die Beteiligung an den Studierendenstreiks gegen das Hochschulrahmengesetz 2001 und die Mitgliedschaft bei den Globalisierungskritikern von Attac.
2004 verbrachte Nicole Gohlke zwei Monate in einem Solidaritätscamp in El Salvador und reiste 2005 mit einer Delegation nach Palästina und Israel. Ein Jahr zuvor war sie Mitglied der WASG, der Vorläuferorganisation der LINKEN in Westdeutschland, geworden. 2007 rückte sie auch in den geschäftsführenden Landesvorstand der Partei auf. Worin sieht Nicole Golhke ihre Aufgabe im deutschen Bundestag? Sie will Öffentlichkeit für soziale Themen herstellen, der parlamentarische Vertreter und Ansprechpartner von Protest- und außerparlamentarischer Bewegung sein. Und sich dafür einsetzen, dass die Leute ihre Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen: »Wir brauchen in der Bundesrepublik viel stärker eine politische Kultur, in der sich Menschen gegen Ungerechtigkeit und soziale Zumutungen wehren!« Hier will die Bundestagsabgeordnete vom Parlament aus nach außen motivieren.
Als konkretes parlamentarisches Arbeitsfeld wird Gohlke die Bildungspolitik beackern, sie ist Mitglied im Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien. Eine erste Presseerklärung zum Thema (unbefriedigende) Ergebnisse der Kultusministerkonferenz hat sie auch schon herausgegeben. Die Abschaffung von Studiengebühren und des »Turbo-Abiturs« in acht Jahren stehen ebenso auf ihrem politischen Programm wie die Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems und die Forderung nach der Gemeinschaftsschule für alle. Der geplante Bildungsstreik am 17. November dieses Jahres hat ihrer Meinung nach das Potenzial, der erste Sozialprotest gegen Schwarz-Gelb zu werden.
Zunächst aber stehen für die neue Bundestagsabgeordnete noch sehr praktische und organisatorische Fragen im Vordergrund. Einen provisorischen Abgeordnetenausweis hat sie schon, doch noch sind die Büroräume in Berlin für die Fraktion der LINKEN nicht genau verteilt.
Als Bundestagsabgeordnete muss sie sich auch um Räume für das Wahlkreisbüro in München und um Mitarbeiter kümmern. Und neben ihrer Zwei-Raum-Wohnung in München Haidhausen steht zudem die Wahl eines Zweitwohnsitzes in Berlin an. Diese Aufgaben hat sie übrigens mit ihren Parteikollegen Alexander Süßmair aus Augsburg und Harald Weinberg aus Nürnberg, ebenfalls Bundestagsneulinge aus Bayern, gemeinsam.
Das Votum der bayerischen Wähler, das den Alltag und die berufliche Richtung von Nicole Gohlke massiv verändert hat, versteht die neue Bundestagsabgeordnete auch als eine Verantwortung: »Ich hoffe, dass ich diesen neuen Aufgaben gewachsen bin und meine Sache gut mache«, sagt die Münchnerin.
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