Baden statt Baggern
Renaturierung nach der Braunkohle – bekommt die Lausitz mit der Seenlandschaft ein neues Gesicht oder eine problematische Maske?
Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land (IBA) – unter dieser Bezeichnung werden seit 2001 die Hinterlassenschaften des Braunkohleabbaus renaturiert. Die »Ausstellung« besteht aus 25 Großprojekten, die der Gegend im südlichen Brandenburg an der Grenze zu Sachsen eine neue wirtschaftlich-touristische Basis geben sollen. 880 Millionen Euro stiften die Europäische Union und der Bund, 250 Millionen Euro steuerte das Land Brandenburg selbst bei. Für die Verwandlung einstiger Tagebau-Kippen in nutzbare Flächen gab der Bund rund 8 Milliarden Euro aus.
Vom Aussichtsturm inmitten der einstigen Kippen-Welt bieten sich schon die Umrisse der entstehenden Seenlandschaft dar. Millionen Kubikmeter Wasser füllen eine Wasserwelt bei Senftenberg. Die neuen Seen sind mit Kanälen verbunden und sollen ein Wasserparadies werden. Brandenburg, das ohnehin wasserreichste Bundesland, baut seinen Vorsprung weiter aus. Wasserbautechnisch ist das Riesenprojekt einmalig. Nicht zuletzt deshalb, weil das Flüsschen »Schwarze Elster« über einen solchen Kanal hinweggeführt wird.
Touristische Anziehungspunkte wie eine Braunkohle-Förderbrücke aus DDR-Tagen (»liegender Eiffelturm«), das Industriedenkmal einer Großkokerei in Lauchhammer, das an eine mittelalterliche Burg erinnert, und die rekonstruierte Slawenburg in Raddusch zogen in den vergangenen Jahren immer mehr Besucher in die Region. Beliebt auch die geführten Touren durch die Mars- oder Mondlandschaft von Tagebauen, die noch in Betrieb sind. Mit vielen dieser Attraktionen will die Gegend ihr Verhaftetsein im Industriezeitalter nicht verhehlen, sondern herausstreichen.
Ein Hafen für Senftenberg
Langsam, aber stetig ergreift das steigende Wasser von den Ufern der neuen Seen Besitz. Ein seltsamer Anblick, wenn die Wipfel kleinerer Bäume noch aus den Fluten Wasser ragen. Mit dem Jahr 2009 hatten die IBA-Projektanten Glück, denn es war vergleichsweise wasserreich. In anderen Jahren gab das Wasserangebot die Speisung der Seen nicht her.
Noch finden Jeep-Fahrten und Wanderungen trockenen Fußes dort statt, wo in ein paar Jahren alles unter der Wasseroberfläche liegen soll. Und so hat sich das Unternehmen den Begriff »see« als Logo gewählt: als Kombination des deutschen See und des englischen see (sehen).
Im kommenden Jahr soll die IBA ins Finale gehen – mit einem Fest von April bis Oktober. Von einem Abschluss will IBA-Geschäftsführer Rolf Kuhn indessen nicht sprechen. Denn bisher seien lediglich die Weichen gestellt für die weitere Entwicklung der Lausitz. Kuhn schwebt für die Einweihung ein riesiger nächtlicher Fahrradkorso um einen See vor, ein Kunstprojekt, das in seinen Dimensionen an das Künstlerpaar Christo erinnert.
Im Rahmen dieses raumgreifenden Projektes wird die Stadt Senftenberg einen Hafen bauen und damit »von der Hauptstadt der Braunkohle zur Seenhauptstadt«, wie die stellvertretende Bürgermeisterin Elke Löwe sagte. Tatsächlich konnten die IBA-Macher hier auf Erfahrungen aus der DDR zurückgreifen. Denn der Senftenberger See, der 1973 dort angelegt wurde, wo 1965 die letzte Kohle aus der Erde gewühlt worden war, ist gleichsam ein frühes Referenzprojekt der IBA. Und die Tatsache, dass es an diesem beliebten Badesee ein Fischereiunternehmen gibt, gilt als Beweis dafür, dass das Unternehmen ökologisch zu stemmen ist.
Brandenburgs bisheriger Raumordnungsminister Reinhold Dellmann (SPD) sicherte zu, dass das Land die neuen Seen übernehmen und eine Privatisierung der Ufer nicht stattfinden werde. »Aber wir übernehmen sie nur in definiertem Zustand, das heißt erst dann, wenn Risiken überschaubar sind«, schränkte er ein. Auch die neue rot-rote Landesregierung will die neue Seenlandschaft übernehmen und öffentlich nutzbar machen. Ab 2011 will man mit dem Bund darüber verhandeln, wer die weitere Sanierung der geschundenen Landschaft bezahlt. So haben es SPD und Linkspartei vereinbart.
Bei wichtigen Fragen ist den Verantwortlichen das Zögern anzumerken. Die Erinnerung an sozialistische Tage ist präsent, als das sowjetische Leitbild vom Menschen als »Beherrscher der Natur« im Osten Deutschlands das Denken vieler Menschen prägte. Damals wurden im Süden der Sowjetunion riesige Wüstenflächen mit gigantischen Bewässerungsanlagen urbar gemacht. Der Aralsee und das Kaspische Meer wurden dabei von ihren natürlichen Zuflüssen abgeschnitten. Vermutlich ist dadurch mehr Wüste geschaffen als beseitigt worden.
In der Lausitz werden im Endausbau beträchtliche Seenflächen entstehen, auf denen viel mehr Wasser verdunstet als jemals zuvor in dieser Region. Weil aber auch in Brandenburgs Süden die Aussichten auf lange Dürrephasen zunehmen, müsste laut Agrarministerium das Wasserrückhaltevermögen der Landschaft deutlich gestärkt werden. Was das für die neue Seenlandschaft perspektivisch bedeutet, ist noch unklar.
Schon hat die Natur den Zeigefinger erhoben: Die Flutung ausgekohlter Tagebaue wird länger dauern als angenommen. Zunächst sollte dieser Vorgang 2014 abgeschlossen sein – neue Berechnungen halten 2018 oder noch später für möglich. Eventuelle Veränderungen »hängen direkt mit der Entwicklung des aktuellen Wasserangebotes in den kommenden Jahren zusammen, über die naturgemäß keine Kenntnis vorliegt«, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums.
Auf stetigen Zufluss können die künstlichen Seen um den Preis ihrer Existenz nicht verzichten. Anderenfalls übersäuert das Wasser, die Seen würden sich in leblose Tümpel verwanden. Die bange Frage bleibt: Wird genügend Wasser vorhanden sein? Laut Landesumweltamt reduziert sich die Kapazität der Fließgewässer in Brandenburg dramatisch. Gemessen an den Werten von vor 20 Jahren, fließt derzeit nur noch die Hälfte Wasser ab. Deshalb werde überlegt, so Manfred Kolba, Leiter des Sanierungsbereiches Lausitz, ob man die Elbe anzapfen kann, um einen Teil ihres Wassers in die neuen Lausitz-Seen zu pumpen.
Tourismus allein ist keine Lösung
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Das gewohnte Verhältnis von Oberfläche und Grundwasser gibt es auf den durch den Tagebau zerstörten Flächen nicht mehr. In bis zu 50 Meter Tiefe, mancherorts noch tiefer, wurde der Boden seiner natürlichen Schichtung beraubt. Neue Grundwasserströme bilden sich erst im Verlauf von Erdzeitaltern. Das wird sich auf die Vegetation auswirken.
Zwar wird ab April 2010 das gigantische Spektakel zur Eröffnung der Seen- und Kulturlandschaft stattfinden. Eine Antwort auf die Frage, wovon der Schornstein rauchen soll, ist das für die meisten der dort lebenden Bewohner dennoch nicht. Senftenbergs stellvertretende Bürgermeisterin Elke Löwe verweist darauf, dass die Einwohnerzahl der Stadt seit der Wende von 36 000 auf rund 27 000 zurückging. Selbst wenn sich die wirtschaftlichen Hoffnungen erfüllen: Keineswegs könne ganz Senftenberg ausschließlich vom Tourismus leben; auch nicht die meisten seiner Einwohner.
Kerstin Bednarsky, langjährige Landtagsabgeordnete der LINKEN, gibt zu bedenken, dass die Region ab 2010 auf sich selbst gestellt sein werde. Die umgestalteten Flächen werden dann »den Anliegerkommunen wie Senftenberg und Großräschen hoheitlich übertragen«. Die Ex-Abgeordnete, die dem neuen Landtag nicht mehr angehört, kritisierte zum Ende der letzten Legislaturperiode, dass »außer einer geplanten touristischen Nutzung« der neu geschaffenen Landschaft zur wirtschaftlichen Entwicklung »weitgehend nichts bekannt« ist. Weil es nicht allein um Tourismus gehen kann, werden laut Minister Dellmann an traditionellen Braunkohle-Orten wie Lauchhammer, Marga in Brieske, Sonne in Freienhufen, Kittlitz und Schwarze Pumpe »Vorrangstandorte für gewerbliche Ansiedlungen entwickelt«.
Die regionale Wirtschaftsfördergesellschaft LMBV sucht Dellmann zufolge »potente Investoren«, die Gewerbeflächen übernehmen könnten. Der Minister ist sich der Schwierigkeiten bewusst, die dem ganzen Unternehmen anhaften. Für ihn ist die Rückverwandlung jedoch ein Akt der Solidarität. Jahrzehntelang hat die Region dafür gelitten, dass andere Gegenden mit Strom versorgt wurden. »Wir können das Gebiet nun nicht einfach sich selbst überlassen.«
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