Russland debattiert über die Todesstrafe

Verfassungsgericht soll entscheiden

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Es waren ganze drei Zeilen, die in der vergangenen Woche in Moskau für Wirbel sorgten: Das Präsidium des Obersten Gerichts, meldete die Nachrichtenagentur Interfax, habe das Verfassungsgericht in einer offiziellen Anfrage um Aufklärung gebeten, ob ab 1. Januar 2010 in Russland die Todesstrafe wieder verhängt werden darf.

Die Abschaffung der Todesstrafe hatte der Europarat 1996 zur Bedingung für die Aufnahme Russlands als Vollmitglied gemacht. Moskau hat sich bisher jedoch nur zu einer Aussetzung durchringen können, die 1998 von der Staatsduma bestätigt wurde. Denn die Todesstrafe ist in Russland nach wie vor höchst umstritten.

Nur eine liberale Minderheit der Bevölkerung verlangt die Abschaffung. Die Mehrheit will sie zumindest bei schweren Verbrechen erneut vollstreckt sehen und hofft auf den Abschreckungswert. Angesichts ausufernder Gewalt wird diese Fraktion eher größer denn kleiner. Mit schöner Regelmäßigkeit kocht der Streit daher leidenschaftlich hoch. Vor allem beim Beginn von Prozessen gegen Attentäter, Massenmörder oder Kannibalen. Beim Verfahren gegen den einzigen überlebenden Täter des Geiseldramas in der Schule von Beslan rief 2006 sogar der Staatsanwalt nach dem Scharfrichter.

An diesen Befindlichkeiten kommen auch die im Parlament vertretenen Parteien – egal ob Regierung oder Opposition – nicht vorbei. Offiziell vertagten sie eine endgültige Entscheidung über die Todesstrafe mit der Begründung, dass zuvor in allen Regionen Russlands Geschworenengerichte ihre Arbeit aufnehmen müssten. Diese Ausflucht aber wird sich mit Beginn des Jahres 2010 erledigt haben. Dann sollen auch in Tschetschenien Laienrichter über Schuld oder Unschuld der Angeklagten befinden. Das Strafmaß dagegen wird weiterhin von Berufsrichtern festgelegt, die sich dabei an das gegenwärtig geltende Strafgesetzbuch halten müssen. Das aber gibt, zumindest theoretisch, auch die Todesstrafe her, wenngleich die Vollstreckung ausgesetzt wird.

Ob sie auch praktisch wieder eingeführt wird, soll nun das Verfassungsgericht entscheiden. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, steht noch nicht fest. Die Hüter des Grundgesetzes stehen vor einem Dilemma. Denn die Rechtslage ist alles andere als eindeutig.

Zwar rangiert internationales Recht auch in Russland vor nationalem. Allerdings nur dann, wenn das Parlament Konventionen, denen Moskau per Unterschrift des Staatsoberhaupts beigetreten ist, auch ratifiziert hat. Zur Bestätigung des sogenannten sechsten Protokolls, das alle Mitglieder des Europarats zum Verzicht auf die Todesstrafe verpflichtet, hat sich die Duma bisher aber nicht aufraffen können. Trotz Mahnungen der Kollegen in Straßburg.

Wladimir Lukin, der Menschenrechtsbeauftragte von Präsident Dmitri Medwedjew, geht dennoch davon aus, dass die Verfassungsrichter sich gegen die Todesstrafe entscheiden werden. Für deren Abschaffung plädierte sogar der als Scharfmacher bekannte Chef der nationalistischen Liberaldemokratischen Partei, Wladimir Shirinowski. Er begründete dies vor allem mit möglichen Justizirrtümern. Selbst der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow pflichtet ihm bei: Er ist der Meinung, dass Probleme wie Verbrechen und Terror nicht allein mit dem Höchstmaß an Strafe gelöst werden können. »Das Höchststrafmaß wird in den USA, in China, Iran und anderen Ländern angewendet. Aber hat es irgendeinen Einfluss auf die Verbrechensrate?«

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