Ins Licht der Ungewissheit
Die 19. euro-scene Leipzig präsentierte Gastspiele unter dem Motto »Sonnenfinsternis«
Direktorin Ann-Elisabeth Wolff freut sich über Planungssicherheit bis einschließlich 2012. Die Partnerschaft des Festivals euro-scene mit BMW Leipzig zieht den Zuschuss von Stadt und Landes-Kulturministerium nach sich. Das Budget von 654 000 Euro speist sich zu 58 Prozent aus öffentlicher Förderung, die restlichen 42 Prozent erbringen Eigeneinnahmen. Rund 7800 Zuschauer sahen die 13 Gastspiele aus zehn Ländern in 25 Vorstellungen: 96,4 Prozent Auslastung. 32 Partner, von der Botschaft bis zur Hotellerie, trugen zum stabilen Fundament bei.
Unter den zehn Spielstätten waren wieder ungewöhnliche Orte. So öffnete sich das ungenutzte Stadtbad, ein 1916 eröffneter Bau im maurisch dekorierten Historismus. Ehe die Restaurierung beginnt, konnte dort das Trickster Teatro aus Lugano seine Installation »h.g.« nach dem Märchen »Hänsel und Gretel« zeigen. Auf engem Raum haben Cristina Galbiati und Ilija Luginbühl ein Labyrinth schwarz ausgeschlagener Kammern gefügt, in das sie jeweils einen Zuschauer auf halbstündige Tour in die Kindheit schicken. Stimmen aus dem Kopfhörer erinnern an Ängste beim Betreten eines dunklen Waldes, an die Begegnung mit der Gruselgeschichte. Kammer für Kammer betritt man, sieht Menschenknöchlein, durchquert das Knusperhaus. Am Ende bleibt jedem ein Stein für eine geläuterte Zukunft.
Dass die euro-scene auf Kontraste setzt, bewies »Ruhe« vom Muziektheater Transparant aus Antwerpen. Zwischen Schubert-Liedern live sprechen zwei Schauspieler Texte ein, die 1967 im Interview mit Nazi-Mitläufern entstanden: Für die Krankenschwester und den Soldaten war dies die schönste Zeit ihres Lebens. Grimm-Märchen und NS-Realität im gespenstischen Miteinander.
Nicht von ungefähr lautete das Motto dieser 19. Festivaledition »Sonnenfinsternis«, gemeint als eine Zeit des Umbruchs und Niedergangs, aber auch der Hoffnung auf neuen Aufbruch – beim Mauerfall vor 20 Jahren ebenso wie heute.
Schon vom Titel »Point of eclipse« her passte sich als Auftakt das Gastspiel vom Cullberg Ballet aus Stockholm dem Motto an, bedeutet in der Choreografie des Schweden Johan Inger, Ex-Tänzer mit internationaler Karriere, auch für die Compagnie den Neustart in eine zeitgenössische Bewegungsprache. Tanz beschloss auch das Festival: »Nuit sur le monde« der Compagnie Mossoux-Bonté aus Brüssel um Fragen des menschlichen Daseins. Selbstfindung im aufgelösten Jugoslawien thematisiert Sanja Mitrovic aus Belgrad in ihrem Zwei-Personen-Tanztheater »Will you ever be happy again?«, aus Österreich kam mit Philipp Gehmacher ein Pfadfinder neuen Bewegens, aus Berlin Jo Fabian mit seinem Theater-Tanz-Stück »Polka Dot. ein Stilleben«.
Selbstspiegelung verhandelten exemplarisch unterschiedlich zwei Theaterstücke. In »Staliza around« des jungen Autors Sergej Girgel bleiben zwei Männer mit der Metro stecken, immer wieder dringt der Sanfte auf den Gereizten ein. Ob sie wirklich Brüder in zufälliger Erstbegegnung sind und auch noch dasselbe Mädchen lieben oder bloß spiegelbildlich zwei Leben zusammenprallen, lässt Sara Tokinas unaufdringlich dichte Regie offen: Gemeinsam gehen Maksim Panimatchenka und Dzianis Parshin vom Dramatischen Theater der Weißrussischen Republik aus Minsk ins Licht der Ungewissheit.
Der Komplizenschaft der Weltstars Shakespeare und »Hamlet« versicherte sich Oskaras Korsunovas aus Vilnius. Gut drei Stunden lang fasziniert, was sich in der Garderobe einer Schauspieltruppe ereignet, die sich in ihren Schminktischen bespiegelt, »Wer bist du?« fragt, stücklang zu keinem Ergebnis kommt, weil sich jeder selbst misstraut, und zu eindringlichen Bildern in strenger Schwarz-Weiß-Rot-Ästhetik findet. Vaidotas Martinaitis als Polonius ist schlichtweg grandios, Ophelia als Geisha inmitten eines Meers aus Kirschblüten unvergesslich.
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