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- Bundestag über ISAF-Mandatsverlängerung
Umwege beim Rückzug aus dem Teufelskreis
Linksfraktion fordert unverzüglichen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan und steht damit weiter allein
Westerwelles Rede war alles mögliche, nur nicht klug, und Zwischenrufe brachten ihn ziemlich aus dem Konzept. Wir fühlen uns der Menschlichkeit und unseren ureigensten Sicherheitsinteressen verpflichtet, plapperte der FDP-Mann seinem Amtsvorgänger von der SPD nach. »Sicherheit ist das Schlüsselwort für unseren Einsatz«, sagte er, wissend, dass der fast achtjährige Einsatz am Hindukusch nur zu immer weniger Sicherheit geführt hat. Die soll nun »selbsttragend« werden. Richten sollen es vor allem mehr Polizisten. Über das Wie war nicht einmal Schwammiges zu hören.
Der Außenminister ließ aber seine Einsicht erkennen, dass Afghanistan eine neue Strategie brauche. Doch wie die aussehen könnte, davon hat Westerwelle nur eine schwache Ahnung. Erst müsse man sich mit den wichtigsten Bündnispartnern und den Afghanen selbst verständigen. Was er eigentlich sagen wollte, müsste lauten: Solange USA-Präsident Obama seine Strategie noch nicht vorgelegt hat, weiß auch die Bundesregierung nicht, wie sie sich einpassen soll. Bis dahin schiebt man der durch massiven Wahlbetrug ins Amt gekommenen Karsai-Regierung die Verantwortung für eine Entwicklung in Richtung Frieden zu. Absurd.
Dass Schwarz-Gelb den eigenen Aussagen nicht glaubt und bei Rückzugsüberlegungen viel weiter ist, als man momentan zugibt, zeigte sich an scheinbar marginalen Sätzen, die da lauten: Man müsse gemäßigte Taliban finden, mit denen eine Rückkehr zu geordneten Verhältnissen möglich ist. Satz Nummer zwei: Die afghanische Lösung müsse eine regionale sein, die die Interessen der Nachbarstaaten einschließe.
Angriff als bessere Verteidigung demonstrierte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Das, was »Bild« über Vertuschungen zum von einem deutschen Oberst befohlenen September-Bombardement auf Tankwagen, Taliban und Zivilisten berichtet hat, sei ihm bis Mittwoch nicht bekannt gewesen. Über den Anteil seines Vorgängers im Amt, dem heutigen Arbeitsminister Franz-Josef Jung (CDU), äußerte er sich nicht. Dennoch warf er von ihm ererbten Ballast ab: Der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan (63), sowie Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert (64) hätten sich von ihren Ämtern zurückgezogen. Und selbstverständlich würden die Bundestagsfraktionen den wahrheitsgemäßen Bericht zur Einsicht erhalten.
36 deutsche Soldaten seien in Afghanistan gefallen, über 120 verwundet worden. Der Verteidigungsminister bekannte sich zur Verantwortung für seine Untergebenen und zu der, die sie übernehmen. Dabei gehe es um Leben und Tod. Soweit das Bekannte. Doch zu Guttenberg schlug neue Töne an. Man müsse den Afghanistan-Einsatz »von seinem Ende her denken«, es müssten ein »klarer Rahmen« und vor allem klare Schritte zu seiner Beendigung definiert werden. Er verlangte »ressortgemeinsames Handeln«. Afghanistan sei nicht nur Sache der Bundeswehr, dem drittgrößten Truppensteller am Hindukusch. Nachzuprüfen wird auch Guttenbergs Aussage sein, dass Deutschland sich von den Verbündeten – gemeint waren sicher die USA – nicht »in ein Korsett zwingen« lasse. Man werde bei der NATO-Truppenstellerkonferenz am 7. Dezember nicht mehr Soldaten als die, die bislang schon im Einsatz sind, versprechen. Vorrang habe die Ausbildung von Polizisten.
Der Hinweis, dass der deutsche Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans halb so groß wie Deutschland und mit 35 Prozent der afghanischen Bevölkerung besiedelt sei, war ein eindeutiger Hinweis in Richtung Wirtschaft und Entwicklungshilfe. Was sich allerdings nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Während für den Bundeswehreinsatz jährlich rund 800 Millionen Euro ausgegeben werden, will das Entwicklungshilfeministerium nun seinen Einsatz verdreifachen – auf 150 Millionen Euro.
Ganz nebenbei verdeutlichte die gestrige Afghanistan-Debatte ein Problem des Parlaments: Kundige Abgeordnete fehlen, neue Leute reden bisweilen so ahnungslos, wie sie sind. Nicht so Paul Schäfer, der langjährige Verteidigungsexperte der Linksfraktion. Ohne den »Rucksack«, den SPD und Grüne durch ihre bisherige Afghanistan-Politik zu tragen haben, konnte er die Forderung nach einem unverzüglichen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan formulieren. Wie auch Experten außerhalb des Parlaments warnte er vor einer Erhöhung des deutschen ISAF-Kontingents nach der Afghanistan-Konferenz, die im Januar in London stattfinden soll. Ein rascher Waffenstillstand solle geschlossen werden, in den die Anrainerstaaten einbezogen sind. Die Überlegung ist simpel. Schäfer formulierte so: »Wen ich am Montag erschieße, mit dem kann ich am Dienstag nicht verhandeln.«
Schäfer verlangte von der Regierung, endlich aus dem Teufelskreis Truppenerhöhung und wachsender Widerstand auszubrechen. Doch alles, was dazu als schrittweise Übergabe von Distrikten an die afghanische Verwaltung bis 2013 angerissen werde, sei nicht dazu angetan, den Krieg zu beenden.
Neben der Suche nach einem Ausweg aus dem NATO-Debakel in Afghanistan war Ex-Verteidigungsminister Jung und die von ihm zu verantwortende Vertuschungsaktion Gegenstand kritischer Debatten. Der bisherige Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, in früheren Ämtern selbst nicht immer sehr auskunftsfreudig, verlangte von seinem Ex-Kabinettskollegen Klarheit über die Hintergründe der »Informationspannen«. Insgesamt gelang es der Opposition aber nicht, Jung im Plenum zu einer Stellungnahme zu zwingen. Die amtierende Parlamentspräsidentin Gerda Hasselfeldt konnte in einer von der SPD beantragten Geschäftsordnungsdebatte erst durch einen sogenannten Hammelsprung die Koalitionsmehrheit gegen einen Auftritt Jungs feststellen.
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