Das »Böse« ist immer und überall

Der Anschlag auf Djerba zeigt Grenzen der USA-dominierten Anti-Terror-Allianz

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Lübecker Universitätsklinikum starb am Mittwochabend die 15-jährige Jovanka. Sie erlag schweren Brandverletzungen, die sie beim mutmaßlichen Terrorangriff auf der tunesischen Ferieninsel Djerba erlitten hatte. Damit starben bislang 16 unschuldige Menschen.
Von Jovankas Haut waren gerade noch fünf Prozent übrig geblieben. Der Zustand ihrer ebenfalls in der Klinik liegenden Schwestern Ronja (13) und Solveig (16) sei »stabil«, beruhigt der Chef der Plastischen Chirurgie, Peter Mailänder. Die Mädchen wollten gemeinsam mit ihrem Vater auf Djerba Urlaub machen. Wie zehntausend andere. Dass der benzinbeladene Kleinlaster (andere Quellen behaupten, er sei mit Gasflaschen beladen gewesen) vor einer Synagoge explodierte, ist sicher kein Zufall. Dass es die La Ghriba auf Djerba traf, ist bei aller Detailplanung sicher nicht zwingend.
»Infolge der Terroranschläge in den USA kann es weltweit zu Spannungen kommen. Reisende sollten sich entsprechend sicherheitsbewusst verhalten...« Übersehen wir mal die vom Auswärtigen Amt so verkürzte Darstellung der Spannungsursachen, so bleibt die ebenso richtige wie wenig hilfreiche Feststellung: Die Gefahr lauert immer und überall. Jene, die sie erzeugen, zeigen sich von Bushs Bomben oder Schilys Anti-Terror-Gesetzen eher motiviert, denn abgeschreckt.
Der Bundesinnenminister will zum Wochenende nach Tunesien fliegen und gemeinsam mit dort heimischen Politikerkollegen beraten, wie man solches Morden aufklären und Wiederholungen vorbeugen kann. Außer politischen Beteuerungen wird nicht viel Prävention erkennbar werden. Al-Qaida-Leute, oder solche, die sich in deren langen Schatten bewegen (oder hineingestellt werden), schlugen vor wie nach den Flugzeuganschlägen in den USA in verschiedenen Regionen zu: in Jemen, Pakistan, Indien, auf den Philippinen, in Ägypten und Griechenland. Man vereitelte angeblich Aktionen in Frankreich und Großbritannien. Dass die Djerba-Attacke Deutsche traf, weil in Frankfurt derzeit ein Prozess gegen mutmaßliche Al-Qaida-Terroristen stattfindet, ist eine Mutmaßung.
Es mag stimmen, dass hinter den Anschlägen mit vier entführten Linienjets in den USA ein verzweigtes Killersystem steht. Einen Kleinlaster zu kaufen, seinen aufgeschnallten Wassertank mit von libyschen Schmugglern besorgtem Benzin zu füllen und diese Bombe mit Aussicht auf ein Leben im Paradies zu zünden - wie es in Djerba offenkundig geschah -, ist eine geringe logistische Leistung. Mit verheerender Wirkung. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die »sich verdichtenden Indizien« (Schily) zu einem Knoten im Netzwerk bin Ladens führen. Ins Nichts führte auch der drohende Brief, den die deutsche Botschaft in Tunis am 2. Januar erhalten hatte und der nun von interessierten Politikern als »eindeutige Warnung« herbeizitiert wird. Darin war arabisch-blumig nur davon die Rede, dass man alle deutschen Werte verbrennen werde. Auch dass man das Schreiben mit »Al-Qaida-Abteilung Tunesien« unterzeichnete, erleichterte keine Nachforschungen.
Die Familie des mutmaßlichen Djerba-Attentäters Nizar Ben Mohamed Nawar bezweifelte die Täterschaft des 24-Jährigen. Sollte er es dennoch gewesen sein, dann zeigt das: Für wirkungsvolle Anschläge braucht man keine Top-Terroristen, die mit allen geheimdienstlichen Wassern gewaschen sind. Aus solcher Sicht hätte sich Mohamed Nawar extrem unprofessionell verhalten und Mitverschwörer gefährdet. Beispielsweise indem er nicht nur selbst ein Bekennerschreiben verfasste, sondern auch noch eineinhalb Stunden vor der Explosion mit einem Freund aus Mülheim telefonierte, um zu erzählen, er warte nur noch auf den »Daawa«, den Befehl... Die Spur verfolgen nun deutsche Ermittler, denn besagter Freund, der aus dem polnischen Gliwice nach Deutschland kam, zum Islam konvertierte und mehrmals in Pakistan war, steht seit einiger Zeit auf der Verdachtsliste des BKA. So glauben die Kriminalpolizisten, dass der Mann auch Kontakt zu dem früher in Duisburg lebenden Mouhamedou Ould Slehi hatte, dem das FBI Verbindungen zu bin Ladens Organisation nachsagt.
Nur am Rande: Ebenso denkbar wäre auch die gegensätzliche Variante: Mohamed Nawar ruft einen »Irgendwen« an und lockt so ganze Ermittlerhorden auf eine falsche Fährte...
Wer - wie die westlichen Geheimdienste - seine Leute nicht in den Terrorzellen platzieren kann, bekommt kaum verwertbare Informationen. Und so ist auch alles, was USA-Verteidigungsminister Rumsfeld sieben Monate nach den Anschlägen von New York und Washington sowie einem noch immer andauernden Krieg gegen Afghanistan über das »spurlose Verschwinden« Osama bin Ladens sagt, kaum mehr als Gerüchtemacherei. Unter all dem, was man den USA-Diensten zugetragen hat, sei bislang nichts gewesen, was eine konkrete Suchmission gerechtfertigt hätte. Plötzlich ist nicht einmal sicher, dass »das Haupt des Bösen« jemals in der Bergfestung Tora Bora war, die USA-Truppen gemeinsam mit der Nordallianz sowie britischen, kanadischen und deutschen Soldaten monatelang berannten.
Auch das inzwischen vierte mysteriöse Video, das am Mittwoch vom Middle East Broadcasting TV in Kurzfassung und gestern von Al Dschasira in voller Länge ausgestrahlt wurde, wird kaum Wesentliches verraten. USA-Experten, die das Band schon eine Woche analysieren, bemerkten lediglich, dass das FBI nach dem Linkshänder fahndet, der Video-Mann jedoch nur seinen rechten Arm bewegt.
Das jüngste, bis zum Auftauchen neuer Fantasien gültige Gerücht sagt: Türkische Agenten haben bin Laden im pakistanischen Teil Kaschmirs entdeckt und seinen Schwiegersohn, den Taleban-Chef Mullah Omar, in der afghanischen Bergregion von Paktia geortet.


USA-Präsident Bush fordert zu neuen Kriegsabenteuern heraus. Mit seltsam drohenden Sprüchen. In einer Rede am Mittwoch vor dem »George C. Marschall Award Seminar on National Security« sagte er: Keiner kann neutral sein. Weltweit müssten die Nationen sich entscheiden: »Sind sie mit uns oder sind sie auf Seiten der Terroristen.«
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