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Justiz nur noch halb offen

Nach Marwa-Mord plant Sachsen Eingangskontrollen an Gerichten

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Sachsen rühmte sich bisher einer »offenen Justiz«. Nachdem aber im Juli eine Ägypterin in einem Dresdner Gerichtssaal ermordet wurde, wird das anders: Geplant sind Eingangskontrollen auch an kleinen Gerichten. Woher das Personal kommen soll, ist unklar.

Im Landgericht Dresden gab es seit längerem einen Metalldetektor. Die Anschaffung des Gerätes war im Zuge einer Gefahrenanalyse durch das Landeskriminalamt (LKA) im Jahr 2007 empfohlen worden. Der Detektor stand allerdings im Keller und wurde nur bei sehr brisanten Verhandlungen hervorgeholt. Der Termin am 1. Juli, bei dem es um eine Beleidigung auf einem Spielplatz ging, zählte nicht dazu. Deshalb konnte der Angeklagte Alex W. ein Messer in den Gerichtssaal bringen, mit dem er die 31-jährige Zeugin Marwa el-Sherbini erstach.

Wachtmeister mit Pfefferspray

Seit dem Mord, der international für immenses Aufsehen sorgte, ist in Sachsens Justiz vieles anders geworden. Nicht nur der Metalldetektor im Dresdner Landgericht ist inzwischen ständig im Eingangsbereich aufgestellt. Auch in anderen Gerichten wird wesentlich mehr Augenmerk auf die Sicherheit gelegt. Gestern legte Justizminister Jürgen Martens (FDP) ein Konzept vor, das Zugangskontrollen, das Durchsuchen von Taschen oder die Ausrüstung der Wachtmeister in den Gerichten mit Pfefferspray vorsieht – bis hin zu kleinen Amtsgerichten in der sächsischen Provinz.

Die Verantwortlichen stehen dabei, wie Martens einräumt, vor einer Gratwanderung. Der Freistaat hielt sich bislang viel auf eine »offene Justiz« zugute: Jeder Bürger sollte jederzeit Zugang zu allen Gerichten genießen. Dies gehöre, betont Martens, der zuletzt auch eine Anwaltskanzlei in Meerane führte, »zu den wesentlichen Errungenschaften des Rechtsstaats«. Er habe kein Interesse daran, dass »unsere Gerichte zu Festungen werden«. Der FDP-Mann verwies auf Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen, wo es seit einem Amoklauf in den 90er Jahren rigide Eingangskontrollen gibt: »Das wollen wir in Sachsen nicht.«

Gleichwohl steht Martens unter Druck, für mehr Sicherheit zu sorgen – auch, weil die Familie der in Dresden ermordeten jungen Mutter schwere Vorwürfe gegen Sachsens Justizbehörden erhebt. Dem gestern vorgestellten Konzept zufolge sollen künftig alle Gerichte jeweils nur über einen Eingang zu betreten sein, wo »Publikum und Prozessparteien verstärkt kontrolliert« werden sollten. Tiefgründige Kontrollen sollen indes nur stichprobenartig oder bei »konfliktbeladenen Verhandlungsterminen« erfolgen. »Eine permanente Kontrolle aller Besucher zu jeder Zeit wird es nicht geben«, sagte Martens. Allerdings wird kein Gericht ausgenommen. Einer LKA-Analyse zufolge gibt es schließlich keine Instanz oder Verfahrensart, die besonders gefährdet sei. Das Risiko sei vielmehr dort am größten, wo »der Publikumsverkehr am stärksten ist«. Wenn die Behördenleiter Hinweise auf mögliche Überreaktionen von Beteiligten hätten, könnten Kontrollen verschärft werden, sagte der Minister, der indes einräumte, dass es im Prozess um die Beleidigung der jungen Ägypterin durch den ausländerfeindlichen W. »für eine Gefährdungslage keine ausreichenden Anhaltspunkte« gegeben habe. Hundertprozentige Sicherheit, betonte Martens, sei auch künftig nicht zu garantieren.

Wer kontrolliert nach Privatisierung?

Das sehen Oppositionspolitiker wie Klaus Bartl ähnlich. Der linke Abgeordnete sieht Martens in einem »begreiflichen Handlungszwang«, vertraut allerdings auf ausgewogene Maßnahmen. Völlig unklar sei bislang freilich, wo das dafür notwendige Personal herkommen solle. Martens hat angekündigt, mehr Justizwachtmeister für die Kontrollen abstellen und Verstärkung aus dem Polizeibereich heranziehen zu wollen. Bartl verweist auf Pläne der Koalition aus CDU und FDP zum Abbau zahlreicher Stellen gerade im Justizbereich und hält die Ankündigung daher für »eine reine Symbolerklärung«. Außerdem macht Bartl auf ein weiteres Problem bei Martens' Plänen aufmerksam: In Chemnitz gibt es ein in öffentlich-privater Partnerschaft gebautes Justizzentrum. Der Einlass obliegt dort Beschäftigten des privaten Betreibers: »Diese dürfen die jetzt geplanten strengen Kontrollen gar nicht durchführen.«

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