»Pentiti« bedrängen Berlusconi
Italiens Premier erzürnt über Verdächtigungen, er sei in Mafia-Aktivitäten verstrickt
Die Richter in Florenz dementierten inzwischen diese Aussage der eigentlich Berlusconi nahestehenden Zeitung »Il Libero«. Der florentinische Staatsanwalt Giuseppe Quattrocchi erklärte, weder Berlusconi noch Dell’Utri seien Gegenstand der Untersuchung. Postwendend kam die Antwort: Nicht nur in Florenz, sondern auch in Palermo werde gegen die beiden Politiker ermittelt. Ausgangspunkt waren Aussagen des Mafia-Kronzeugen Gaspare Spatuzza, wonach Silvio Berlusconi bereits Anfang der 90er Jahre Kontakte zum damaligen Cosa-Nostra-Clan Graviano aus Brancaccio, einem Viertel von Palermo, gehabt haben soll. Giuseppe Graviano soll seinerzeit Berlusconi in ein politisches Amt in Palermo delegiert haben – der Beginn der politischen Karriere des heutigen Regierungschefs. In dem nun anstehenden Verfahren werden Gewaltakte der Cosa Nostra in den Jahren 1992 und 1993 untersucht, die den politischen Segen Berlusconis gehabt haben sollen.
Marcello Dell’Utri wurde bereits in erster Instanz wegen Zusammenarbeit mit der Mafia zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegenwärtig läuft sein Berufungsverfahren. Um Berlusconis langjähriger rechten Hand einen Dienst zu erweisen, erwägen die Rechtsberater des Regierungschefs, Senator Piero Longo und Niccolo Ghedini, die Änderung eines Strafgesetzartikels zur externen Zusammenarbeit mit der Mafia. Das Besondere dieser Reform: Der Paragraf existiert in dieser Form gar nicht. Wohl aber gibt es Bestimmungen, die die Folgen einer Beziehung zur Mafia regeln und mit drastischen Sanktionen ahnden. Die angestrebte »Reform« soll diese existierenden Straftatbestände aushebeln, ein kompliziertes Konstrukt, an dessen Ende wohl Straffreiheit für Dell’Utri – und nicht zuletzt für Berlusconi – stehen soll.
Mit den jetzt aufgetauchten Kronzeugenaussagen kommen immer weitere dunkle Punkte der Karriere des heutigen Regierungschefs ans Tageslicht. So behauptet ebenfalls die Zeitung »Il Libero«, die Cosa Nostra halte 20 Prozent der Kapitalanteile vpn Berlusconis Mediaset-Konzern. Bereits zu Beginn der Industriellenlaufbahn Berlusconis hätten die sizilianischen »Familien« Startboni gegeben: Beim Aufbau seines Bauimperiums erhielt Berlusconi etliche Kredite von der Mailänder Rasini-Bank, bei der sein Vater Luigi Geschäftsführer war. Die Bank war erwiesenermaßen in Mafia-Geschäfte und in die der Geheimloge P2 verwickelt, deren Mitglied auch Berlusconi war. Bereits damals organisierte Marcello Dell’Utri Geldgeschäfte für Berlusconis Imperium. In Mailänder Juristenkreisen kolportiert man eine weitere Geschichte, die die Verbindung des »Cavaliere« zum organisierten Verbrechen zeigen soll. Der aufsteigende Unternehmer bezog in den 70er Jahren nahe Mailand die Villa Arcore. Wegen seiner exponierten Position befürchtete er, dass er selbst oder Frau und Kinder Opfer einer Entführung werden könnten. Wieder soll es Dell’Utri gewesen sein, der seine Beziehungen nach Sizilien nutzte: Als Pferdepfleger zog Vittorio Mangano in die Villa Arcore ein. Der später als Mafia-Boss enttarnte Mangano übernahm den Personenschutz der Familie Berlusconi, der allerdings stets abstritt, von den Beziehungen seines Angestellten zur Cosa Nostra gewusst zu haben.
Auch später war Marcello Dell’Utri dem Aufstieg Silvio Berlusconi dienlich. So soll er als Fininvest-Manager vielfach dubiose Gelder (der Mafia) über ausländische Scheinfirmen gewaschen und in die Fininvest eingezahlt haben. Der Konzern streitet dies ab, Marina Berlusconi – Tochter des Regierungschefs und Chefin von Fininvest – kündigte rechtliche Schritte gegen die Tageszeitung »La Repubblica« an, die Details dieser Transaktionen veröffentlichte.
Der Prozesstermin 4. Dezember ist bislang nicht aufgehoben. Weitere Kronzeugen, in Italien »Pentiti« geheißen, haben angekündigt, ihr langjähriges Schweigen zu brechen. Weshalb die Cosa Nostra auf diese Art gegen Berlusconi agiert, ist nicht nur in Juristenkreisen völlig unklar. Der Regierungschef indes wütet weiter gegen die »linke Justiz« und den »linken Journalismus«. Niemand in Italien habe so viel gegen die Mafia unternommen wie er, behauptet Berlusconi.
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