Hamburgs Mieten steigen rasant
50 000 Sozialwohnungen weniger als 2000
In den besonders beliebten Stadtteilen St. Pauli, Sternschanze, St. Georg und Altona stiegen die Mieten im letzten Jahr um durchschnittlich neun Prozent, teilte die linke Bürgerschaftsfraktion am gestrigen Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit.
Besonders der öffentliche Wohnungsbau werde in der schwarz-grün regierten Hansestadt vernachlässigt, beklagte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Joachim Bischoff. So seien seit 2005 keine Bauflächen mehr an die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG vergeben worden. Baugenossenschaften hatten im gleichen Zeitraum lediglich 35 Grundstücke erhalten. Dagegen verkaufte der Senat 526 Freiflächen an Investoren und Privatleute.
Während in Hamburg 1999 noch über 2000 Wohneinheiten jährlich neu gebaut wurden, sind es zehn Jahre später deutlich unter 500 Einheiten. Der Anteil der Einfamilienhäuser daran beträgt heute ein Viertel, 1999 waren es nur zehn Prozent. Obwohl die Hamburger Bevölkerung in den letzten zehn Jahren von 1,7 Millionen Einwohnern auf 1,77 Millionen angewachsen ist, wurden seit 2002 nur 170 000 Quadratmeter an neuen Wohnflächen geschaffen. Das Büroangebot wuchs dagegen um 500 000 Quadratmeter.
Verstärkte Verdrängung
Die Schieflage setzt sich im sozialen Wohnungsbau fort. Im Jahr 2000 unterlagen noch 150 000 öffentlich geförderte Wohnungen der Mietpreisbindung. Heute sind es nur wenig mehr als 100 000. Für die nächsten zehn Jahre wird ein weiterer Rückgang auf knapp 60 000 Sozialwohnungen prognostiziert. Der Hamburger Mieterverein hat gleichlautende Schätzzahlen errechnet. Die Bewohner der Hochhaussiedlung Steilshoop werden vom Auslaufen der Sozialbindung besonders hart getroffen. Das Wohngebiet wurde in den 70er Jahren errichtet, um die dicht besiedelten Arbeiterviertel in der Nachbarschaft zu entlasten. In den kommenden Jahren wird die Mehrzahl der günstigen Wohnungen aber aus der Mietpreisbindung herausfallen.
Auch im Bezirk Hamburg-Mitte verschärft sich die soziale Lage. Dort beziehen 60 000 Menschen Sozialleistungen. Das sind doppelt so viele wie noch vor acht Jahren. Bei steigenden Mieten im Zentrum könnte dies zu enormen Verdrängungseffekten führen, befürchtet das Forschungsinstitut F+B. Deshalb müsse dringend eine soziale Erhaltungsverordnung erlassen werden, fordert Bischoff von der Linksfraktion. In München gebe es 14 Gebiete, in denen es verboten sei, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln. In Hamburg sei lediglich die südliche Neustadt als geschütztes Areal ausgewiesen. Für St. Pauli und St. Georg prüft das Bezirksamt Hamburg-Mitte noch Erhaltungsverordnungen.
Nicht nur Szeneviertel
In der Neustadt kämpfen auch die Aktivisten aus dem Gängeviertel gegen die »Yuppisierung« oder »Gentrifizierung«. Sie fordern günstigen Wohn- und Arbeitsraum im Zentrum Hamburgs. So ziehen sie an einem Strang mit Künstlern im abrissbedrohten Frappant-Gebäude in Altona und der dortigen Anti-Ikea-Initiative. Für den 18. Dezember rufen die verschiedenen Gruppen zu einer Demonstration auf – unter dem Motto »Recht auf Stadt«.
Die Initiativen gegen Verdrängung arbeiten vorwiegend selbst in Szenevierteln. Hunderttausende Hamburger leben dagegen in weniger beliebten Stadtteilen. Welchen Einfluss die Gentrifizierung auf deren Lebensqualität hat? Das wird in der Hamburger Öffentlichkeit bislang kaum debattiert.
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