Angst vor dem »Weißen Elefanten«

Das Nationalstadion in Peking wird nach Olympia wenig genutzt – es schreibt rote Zahlen

  • Hilmar König, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Riesig, beeindruckend hebt sich die Silhouette des Nationalstadions in Peking – wegen seiner originellen Architektur als »Vogelnest« bezeichnet – gegen den winterlichen Himmel der chinesischen Hauptstadt ab. Man sieht dem Monumentalbau, der seine Feuertaufe bei den XXIX. Olympischen Sommerspielen letztes Jahr glänzend bestand, nicht an, wie schwierig sich sein Überleben gestaltet.

Nein, nicht das der Konstruktion aus 110 000 Tonnen einheimischen Stahls, die kühn 69 Meter emporragt. Die Architekten haben ihr eine Lebensdauer von 100 Jahren garantiert. Sie kann Erdbeben der Stärke 8 auf der Richterskala widerstehen. Vielmehr geht es um eine sinnvolle, profitable Nutzung des Stadions, das 80 000 Zuschauern Platz bietet. Kürzlich war in der »China Daily« unter der Überschrift »Enthusiasmus fürs Vogelnest verblasst« nachzulesen, woran der Koloss krankt. Bei jeder Veranstaltung, gesteht Zhou Bin, der Stadiondirektor für Forschung und Entwicklung, wächst der Druck, der Megabau könnte sich als »weißer Elefant« entpuppen, mit anderen Worten als teurer nutzloser Besitz. Denn die Unterhaltung kostet die Betreiber jährlich 7,3 Millionen Euro oder 20 000 Euro pro Tag. Da braucht es eine Menge Besucher und zugkräftige Shows, die Geld bringen.

Anfangs kamen die Chinesen in Scharen. So wie der Vorsitzende Mao einst sagte, wer die Große Mauer nicht bestiegen habe, sei kein richtiger Mann, empfanden es Millionen Chinesen in den ersten Monaten als Sache der Ehre, das Stadion zu besichtigen. Während der Olympischen Spiele kannten es die meisten von ihnen nur aus dem Fernsehen. Danach waren zunächst 500 000 Zuschauer an einem einzigen Tag die Regel. Heute sind es nur noch zehntausend, die etwas mehr als fünf Euro Eintritt zahlen. Die Begeisterung ist abgeklungen, obwohl es unter in- und ausländischen Touristen noch immer als die reizvollste Sehenswürdigkeit Chinas gilt – noch vor der Großen Mauer!

Bei einem Rundgang fallen dem Besucher auf der einen Seite großartige Fotos von Usain Bolt, Jelena Isinbajewa und anderen Assen an den Pfeilern auf. Gegenüber ebenso schöne Bilder der besten von 17 000 Bauarbeitern, deren Können das Vogelnest entstehen ließ.

Was also machen, damit hier kein »weißer Elefant« das Licht der Welt erblickt? Touristen, die immerhin samt Souvenirverkauf schon 26 Millionen Euro in die Kassen spülten, sind das eine, mitreißende Großveranstaltungen das andere. Und hier hapert es gewaltig. Im August warf die private CITIC-Investment Holding, die die Betreiberrechte erworben hatte, das Handtuch. Die »Neue Zürcher Zeitung« vermutete, die Firma habe die verlockende Aufgabe konzeptlos angepackt. In 15 Monaten gab es im Vogelnest gerade mal fünf Veranstaltungen: das italienische Fußball-Supercupfinale im Sommer, acht Augusttage lang die Puccini-Oper »Turandot« und im November das »Race der Champions« mit Michael Schumacher und anderen Formel-1-Piloten auf einem Asphaltkurs, der auf den Rasen gelegt worden war. Der Fußballklub Guoan, der regelmäßig im Stadion spielen wollte, machte einen Rückzieher, nachdem ihm dämmerte, dass seine rund 10 000 Fans in der Arena jämmerlich verloren gewirkt hätten.

Vielleicht hilft den Verantwortlichen auch ein Blick über die Schulter der ideenreichen Betreiber des »Wasserwürfels«, in dem die olympischen Schwimmwettkämpfe ausgetragen wurden. Nach einer Reihe von attraktiven Veranstaltungen lassen sie momentan den hellblauen, zu einem beträchtlichen Teil aus Spenden von Auslandschinesen finanzierten, originellen »Würfel« rekonstruieren – natürlich bleibt der Souvenirshop geöffnet. Die Sitze werden zugunsten mehrerer Planschbecken von 10 000 auf etwa 4000 reduziert. Im Juni 2010 präsentiert sich der »Wasserwürfel« dann als Vergnügungszentrum. Das große Becken bleibt für Wettkämpfe und das Trainingsbecken für den Volkssport erhalten.

In jedem Fall hatten sich die privaten Betreiber des Stadions mehr Profit versprochen. Doch sie waren nicht in der Lage, ihre Pläne für ein 5-Sterne-Hotel, teure Einkaufsarkaden und ein Luxusrestaurant mit Blick aufs »Nest« in die Tat umzusetzen. Mitte August übernahm ein staatliches Finanzinstitut das Stadion. »Mit Regierungskontrolle,« so glaubt der einstige Olympia-Berater Wei Jizhong, »wird es viel einfacher sein, die Erlaubnis für verschiedene kommerzielle Unternehmungen zu bekommen.« Im Januar entsteht beispielsweise auf dem Nordabschnitt des Geländes direkt vor dem Stadion ein »Schokoladen-Wunderland«, u. a. mit einer sieben Tonnen schweren, zehn Meter hohen Kopie der Großen Mauer oder 560 Terracotta-Kriegern aus dem braunen Naschwerk. Kreative Ideen für eine lukrative Nutzung sind gefragt.

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