»Weiße Weihnacht« in Coccaglio

Ein norditalienisches Städtchen will »aufräumen« – mit Ausländern

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
In Coccaglio, einem norditalienischen Städtchen in der Nähe von Bergamo, wurde »Weiße Weihnacht« angeordnet. Aber mit sanft fallenden Schneeflocken am 25. Dezember hat das nichts zu tun. Das »Weiß« meint die Hautfarbe der Einwohner.

»Vor einem Jahr«, sagt John aus Ghana, »war das Weihnachtsfest wirklich schön. Mit anderen Ghanaern und Senegalesen haben wir in der hiesigen Kirche Gospel gesungen. Viele Leute sind gekommen und haben sich gefreut. Aber dieses Jahr? Jetzt sollen wir weg …«

Ja, wenn es nach dem Willen des Bürgermeisters und der rechten Stadtverwaltung Coccaglios ginge, wäre es auf jeden Fall besser, wenn John und seine Chorfreunde den Ort mit seinen 7000 Einwohnern noch vor Weihnachten verließen. Claudio Abiendi, im Gemeinderat für die öffentliche Sicherheit verantwortlich, nimmt da kein Blatt vor den Mund und keine Rücksicht darauf, was allgemein als »politisch korrekt« gilt: »Für mich ist Weihnachten nicht das Fest der Liebe, sondern das der christlichen Tradition und unserer Identität.« Dass der schwarze John aus Ghana Christ ist, übersieht er geflissentlich.

Abiendi hat angeordnet, dass die Stadtpolizisten bis zum 25. Dezember bei den 500 ausländischen Familien im Ort – zumindest aber bei den 400 von außerhalb der EU – klingeln und sie nach ihren Papieren fragen. Bürgermeister Franco Claretti: »Wenn wir jemanden finden, dessen Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist und der nicht glaubhaft nachweisen kann, dass er Recht auf eine Verlängerung hat, dann wird ihm eben das Wohnrecht in Coccaglio entzogen.« Aber auch dabei wird etwas übersehen: In Italien dauert es nicht selten ein Jahr, bis die Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung erneuert haben …

Claretti indes möchte am liebsten überhaupt keine Ausländer in Coccaglio haben. Heute sind es vor allem Marokkaner, Albaner und Menschen aus dem früheren Jugoslawien, die auf dem Bau oder in kleinen Fabriken arbeiten. Bisher gab es eigentlich wenige Probleme, das muss auch Claretti zugeben: »Bei uns gibt es keine Kriminalität. Wir wollen einfach nur damit beginnen, mal aufzuräumen.« Und er unterstreicht, dass er dabei die volle Unterstützung seiner Partei Lega Nord und des Innenministers Roberto Maroni hat, der ebenfalls dieser Partei angehört.

Obwohl man in Coccaglio nie schlechte Erfahrungen mit »den Ausländern« gemacht hat, gibt es eine Reihe von Vorurteilen. So beklagt Monica, Mutter von zwei Söhnen im Halbstarkenalter, dass ihre Kinder »immer mit zwei Rumänen und zwei Afrikanern rumhängen«. Warum sie das nicht gut findet, kann sie nicht so richtig erklären. »Ich will das nicht, und damit basta. Die gefallen mir nicht. Und ihre Eltern gefallen mir auch nicht. Aber deshalb bin ich doch keine Rassistin!«

Andere Einwohner von Coccaglio, wie Agostino Pedrali, behaupten, dass die Stadtverwaltung viel zu viel Geld für Ausländer ausgibt: »Da bleibt für uns Italiener nichts übrig.« Was nützt es da, wenn der Fraktionsvorsitzende der Demokratischen Partei im Gemeinderat, Claudio Rossi, vorrechnet, dass von 150 Sozialwohnungen nur zwei an Ausländer vergeben wurden.

Vielleicht wegen der »etwas unglücklichen Namenswahl für die an sich richtige Operation«, die auch der Bürgermeister einräumt, hat »White Christmas in Coccaglio« in ganz Italien ein großes Echo hervorgerufen. Die Bürgermeister einiger umliegender Orte applaudieren und wollen etwas ähnliches ins Leben rufen – vielleicht in weniger suspekten Zeiten und natürlich mit einem anderen Namen. Die Kirche hingegen hat ganz klar dagegen Stellung bezogen.

»Lieber Herr Bürgermeister«, schrieb in einem offenen Brief ein enger Mitarbeiter des Bischofs von Brescia, »das Christentum ist etwas ganz anderes!« Weniger höflich ist Kurosh Danesh, Verantwortlicher für Migranten in der Gewerkschaft CGIL, der von einem »faschistischen Plan« spricht: »Das erinnert mich einfach nur an die Stiefel der faschistischen Soldaten im Ghetto von Rom, wie sie jüdische Bürger zusammentreiben.«

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