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Konflikte aus dem Religiösen ins Reale führen

Anetta Kahane hält eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Islam für dringend nötig

  • Lesedauer: 4 Min.
Anetta Kahane ist hauptamtliche Vorsitzende der 1998 gegründeten Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie setzt sich für eine demokratische Zivilgesellschaft ein, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Niels Seibert sprach mit ihr.
Thema: Minarett-Verbot – Konflikte aus dem Religiösen ins Reale führen

ND: In der Schweiz hat sich eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Minarett-Verbot ausgesprochen. Darf man überhaupt über das Grundrecht auf Religionsfreiheit abstimmen lassen?
Kahane: Es ist doch keine Abstimmung über die Religionsfreiheit gewesen. Zur Debatte standen die Minarette und nicht die Frage, ob jemand Muslim sein darf oder ob Moscheen gebaut werden dürfen. Die Frage allein deutet auf die Problematisierung der Debatte. Wichtig ist, was jeweils in den Moscheen geschieht und nicht, ob sie über ein Minarett verfügen.

Die Debatte wurde auch in Deutschland breit aufgegriffen. Wie erleben Sie diese Diskussion?
Ich finde immer lustig, wenn in Deutschland Populisten auf die anderer Länder zeigen und sagen, die sind aber populistisch und reaktionär. In der Debatte wird viel nach außen projiziert. Hier kommt die deutsche Selbstgefälligkeit zum Tragen.

Dennoch: Die Diskussion ist wichtig. Neben viel Polemik gibt es auch differenzierte Ansichten.

Die deutsche Rechte greift das Thema auf ...
Nicht nur die Rechte. Am Thema Islam reiben sich unterschiedliche Interessengruppen. Das war auch in der Schweiz so. Dort gab es durchaus auch Menschen, die quer zum ganzen Thema eigene Akzente setzen wollten. Zum Beispiel waren die Feministinnen sehr aktiv. Sie haben sich durch das Thema Minarett auf eine andere Weise auch mit ihrer eigenen Situation auseinandergesetzt. Um Gleichberechtigung in der Schweiz muss noch viel gekämpft werden, das Frauenwahlrecht gibt es noch nicht lange. So sind Fragen der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Frauen noch einmal abgearbeitet worden.

In der ganzen Auseinandersetzung um den Islam stecken also weitere Aspekte, etwa die Frage, wie viel Religion in der Öffentlichkeit sein soll oder wieso man bestimmte Konflikte ins Religiöse zieht, die eigentlich ganz woanders hingehören.

Warum ist Rassismus oft mit einem Angriff auf Religion verknüpft?
Ich glaube, in der sogenannten Islamophobie steckt noch immer viel vom ganz simplen, doofen Alltagsrassismus. Dass dieser ins Religiöse gezogen wird, war auch im Interesse der Imame und der konservativen oder fundamentalistischen Vertreter des Islam. Die fanden es gut, dass plötzlich von Islamophobie statt von Rassismus gesprochen wurde, weil sie auf diese Weise die Konflikte auf religiöser Ebene ausfechten können. So können sie sagen: »Wir sind eine Religion und die schreibt nun mal dies und dies vor und das müsst ihr respektieren.«

Dass die deutsche Gesellschaft dabei mitspielt, ja sogar davor zurückweicht und hart erkämpfte demokratische Grundrechte dafür zu ignorieren bereit ist, liegt auch daran, dass die Kirchen ein Interesse an diesem Konflikt haben. Die wollen auch, dass man wieder über Werte und Religionen spricht und damit die Rolle der Kirchen in der Auseinandersetzung mit dem Islam neu stärkt.

Ich würde aber immer versuchen, ganz egal, welcher Religion ich angehöre, solche Konflikte aus dem Religiösen wieder auf das Reale zurückzuführen. Minarette zu verbieten ist Populismus, eine wirkliche und mit Interesse geführte Auseinandersetzung mit dem Islam kann das nicht ersetzen. Die ist aber dringend nötig.

Wie stehen die beiden Phänomene Islamfeindlichkeit und Antisemitismus zueinander?
Gerade in Deutschland gibt es das Bedürfnis, den Antisemitismus und seine mörderische Geschichte endlich loszuwerden, ihn gewissermaßen abwählen zu können zugunsten von etwas anderem: der »Islamophobie«. Dadurch lassen sich gleich verschiedene Dinge auf einmal erledigen. Man kann beides gleichsetzen – nach dem Motto: »Die Muslime sind die Juden von heute«. Dabei hat man dann noch eine politische Schuldumkehr hergestellt, indem mit dem Nahost-Konflikt die Juden zu Tätern, die Muslime zu Opfern und die Deutschen zu Schiedsrichtern werden.

Gewiss gibt es Islamfeindlichkeit, auch in Deutschland, nicht nur in der Schweiz. Sie ist eine Mischung aus vielen Abwehrbewegungen gegen das Fremde und deutet auf ungelöste Konflikte in unseren Einwanderungsgesellschaften. Der Antisemitismus jedoch hat gesellschaftlich ganz andere Funktionen und er operiert mit anderen Bildern. Parallelen oder gar eine Ablösung des einen durch das andere sehe ich nicht.

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