Verhaftungswelle nach Protesten
Teheran geht gegen Kritiker vor / Auch konservative Kreise fordern eine politische Lösung
Teheran (Agenturen/ND). Am Montag wurden nach Angaben oppositioneller Internet-Seiten mehr als ein Dutzend Regierungskritiker festgenommen. Die iranische Führung reagierte damit auf die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Regierungsanhängern, bei denen laut amtlichen Angaben am Sonntag mindestens acht Menschen starben.
In Teheran wurden der mit mehreren Preisen ausgezeichnete Menschenrechtler und Journalist Emadeddin Baghi sowie der Generalsekretär der verbotenen, aber tolerierten liberalen Iranischen Freiheitsbewegung, Ebrahim Yazdi, festgenommen, wie die reformorientierte Internetseite Rahesabs berichtete. Yazdi, ein scharfer Kritiker von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, war bereits während der Proteste im Juni inhaftiert worden. Er war unmittelbar nach dem Sturz des Schah 1979 Außenminister Irans. Auch Baghi, der bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Juni Oppositionsführer Mehdi Karrubi unterstützt hatte, wurde schon mehrfach festgenommen.
Die Internet-Seite Parlemannews vermeldete außerdem die Festnahme von zwei Vertrauten des ehemaligen Präsidenten Mohammed Chatami und drei Beratern des Oppositionsführers Mir Hussein Mussawi. Den jüngsten amtlichen Angaben zufolge starben bei den Protesten am Sonntag acht Menschen, fünf davon in Teheran. Zuvor hatten staatliche Medien eine höhere Zahl von Todesopfern genannt. Die Polizei kündigte Untersuchungen an.
Nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Anti-Regierungsdemonstranten in Iran warnen Beobachter jetzt vor Ausweitung und Radikalisierung der Proteste. Der Einsatz von Sicherheitskräften könne zwar kurzfristig Erfolge bringen, langfristig habe sich aber gezeigt, dass sich die Demonstranten nicht nur immer wieder zurückmeldeten, sondern sich gegen Polizeigewalt auch wehrten, meinten Analysten. Am Wochenende wurden über 300 Demonstranten festgenommen. Das staatliche Fernsehen berichtete von Elementen, die von den Feinden des Landes benutzt würden, um das islamische Establishment zu stürzen.
Laut einem Polizeibericht wurden am Wochenende auch ein Dutzend Polizisten von den Demonstranten verletzt. Bilder von wütenden Demonstranten, die auf einen Polizisten einschlagen und Polizeiautos in Brand setzen, kursieren derzeit im Internet. »Das sind in der Tat neue Dimensionen mit sehr gefährlichen Konsequenzen«, so ein Politologe in Teheran.
Viele Beobachter rechnen damit, dass der Tod von mindestens acht Demonstranten während des Aschura-Festes dazu führen wird, dass sich die Protestwelle ausweitet. »Sogar der Schah hat Aschura respektiert«, sagte der moderate Kleriker Mehdi Karrubi. Karrubi warf der Regierung vor, nicht einmal auf eine religiöse Feier mehr Rücksicht zu nehmen.
Auch die Verhaftungen von Dissidenten und hohe Gefängnisstrafen gegen sie haben der Regierung bisher nicht viel gebracht. »Ehemalige Regierungsmitglieder wie Dissidenten zu behandeln und bestrafen, macht sie in den Augen der Menschen nur zu Helden«, sagte ein Reformaktivist. »Unter Dissidenten hat man bis vor Kurzem Monarchisten und weltliche Liberale verstanden, jetzt sind ein Großayatollah, zwei ehemalige Präsidenten, ein Minister- und ein Parlamentspräsident unsere Topdissidenten«, so der Aktivist.
Das Oppositionsquartett wird derzeit von den beiden Ex-Präsidenten Chatami und Akbar Haschemi Rafsandschani, dem früheren Ministerpräsidenten Mir Hussein Mussawi und Parlamentspräsident Karrubi geführt. Religiöser Mentor der Opposition war Großayatollah Hussein Ali Montaseri, der in der vergangenen Woche im Alter von 87 Jahren starb.
Nicht nur Oppositionsgruppen sehen Ahmadinedschad und seine Regierung im Zugzwang. Auch konservative Kreise fordern eine politische Lösung. »Das ist leichter gesagt als getan, denn diese Krise könnte nur mit einem Rücktritt Ahmadinedschads beendet werden«, meinte ein Journalist. Aber Ahmadinedschad denkt anscheinend nicht daran.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.