Ständig neue Steine auf dem Weg des Erfolgs
Wahlerfolge, Bündnisblockade, Flügelstreit: Plus und Minus liegen in der Bilanz der Linkspartei nahe beieinander
Zumindest die Partei »DIE LINKE« legt Wert auf die Feststellung, dass das zu Ende gehende Jahr ein erfolgreiches war. Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer der Partei, hat das in den vergangenen Tagen immer wieder getan: »Wir haben Wahlsiege errungen, wir haben bei den Mitgliederzahlen zulegen können und wir haben die politische Agenda des Landes wesentlich mitbestimmt.«
Über Letzteres mag man streiten. An der statistischen Bilanz der LINKEN kommen aber auch die Zweifler nicht vorbei: Bei vier von sechs Landtagswahlen verbesserte sich die Partei. Wo es nicht ausreichte, frühere Ergebnisse zu übertrumpfen, blieben die Zahlen trotzdem gut. In zwei Ländern lag die Partei am Ende vor der SPD.
Schon bei der hessischen Wiederholungswahl im Januar packten die Genossen noch ein paar Zehntelprozent gegenüber dem Vorergebnis drauf. Bei den Wahlen zum Europaparlament im Juni steigerte die Partei ihr Ergebnis um fast 400 000 Stimmen. Es folgte der Herbst: Im Saarland katapultierten die Wähler die LINKE und mehr noch ihren Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine aus dem Nichts über die 20-Prozent-Marke. In Thüringen und Schleswig-Holstein legte sie zu, in Sachsen und Brandenburg blieb sie nur knapp unter früheren Marken. Und bei der Bundestagswahl etablierte sich die Linkspartei mit einem zweistelligen Ergebnis – und bisher noch gar nicht voll absehbaren Folgen für das Parteiensystem.
Gregor Gysi hat vor ein paar Tagen noch einmal daran erinnert, dass er zu Zeiten der früheren PDS »solche Ziele schon aufgegeben« hatte. Das gilt vor allem für die alten Bundesländer, wo erst die fusionierte Partei eine zersprengselte Linke aus dem elektoralen Jammertal früherer Jahre befreien konnte. Mit dem Erfolg fielen allerdings auch neue Steine auf den Weg.
Sie bilden die andere Seite der Wahrheit: Die LINKE war erfolglos. Sie war es nicht einmal aus eigenem Verschulden, und es gibt viele in der Partei, die eine Regierungsbeteiligung sowieso für das falsche Erfolgskriterium halten. Aber eine Mehrheit hat bisher keinen Zweifel erkennen lassen, dass es ihr um »Gestaltung in Verantwortung« geht. Und die vor den Wahlen geführten Annäherungs- und Abgrenzungs-Debatten auf Landesebene konnte man auch kaum anders verstehen denn als Vorspiel.
Doch mögliche Mitte-Links-Bündnisse sind in Thüringen an der SPD und im Saarland an den Grünen gescheitert. In Sachsen und in Schleswig-Holstein waren die Sozialdemokraten für neue Farbspiele zu schwach. Schlussendlich sah die LINKE nur in Brandenburg eine rot-rote Sonne aufgehen. Und selbst dort warf der Start der Koalition erst einmal dunkle Schatten auf die Bilanz der Partei. Eine überhitzte Stasi-Debatte überlagerte sogar noch die Auseinandersetzung um die mageren Ergebnisse des Potsdamer Koalitionskompromisses.
Doch nicht nur in Brandenburg: Es drängte, was an Differenzen im Wahlkampf zurückgestellt worden war, nach dem 27. September wieder stärker an die Oberfläche. Das galt für Personalfragen genauso wie für die Programmdebatte – die Flügel schlugen wieder heftiger.
Wo dabei auch über die mediale Bande gespielt wurde, geriet mitunter das Spielgerät außer Kontrolle. Blätter, denen es um alles mögliche ging, nur nicht um einen produktiven Streit unter Linken, mischten Halbsätze und gefühltes Wissen zusammen. Je kürzer die Tage wurden, desto greller erschien die Partei: Erst sorgte ein Nachrichtenmagazin mit einem alten Gerücht für Schlagzeilen, worauf sich Oskar Lafontaine gezwungen sah, seine Krebserkrankung öffentlich zu machen, was umgehend in eine Nachfolge-Diskussion mündete, die später niemand mehr geführt haben wollte. Am Ende saßen die Vorwürfe locker und offene Briefe mussten zur Besinnung auf das Wesentliche mahnen.
Dazu könnte die Erkenntnis gehören, dass die LINKE nur dann mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile, wenn sie bereit ist, wie es Fraktionschef Gysi gerade formuliert hat, »den Pluralismus zu ertragen«. In der nächsten Jahresbilanz wird man nachlesen können, ob das der Partei 2010 besser gelungen ist.
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