Kasachstan sitzt 2010 der OSZE vor

In Astana hofft man auf ein Gipfeltreffen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Kasachstan, das am 1. Januar den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernahm, wird sich dadurch wandeln. Ebenso die OSZE selbst. So jedenfalls sieht es die Mehrheit der Beobachter in Kasachstan, im Westen und in Russland.

Es ist ein Experiment, mit dem die Organisation und ihre 56 Mitgliedstaaten Neuland betreten. Abgesehen von der Schweiz hatten bisher nur EU- und NATO-Mitglieder den OSZE-Vorsitz inne. Und mit Ausnahme der Türkei ausschließlich Staaten des »christlichen Abendlandes«. Kasachstan ist außerdem der erste UdSSR-Nachfolgestaat an der Spitze der OSZE. Für die Mehrheit der Europäer dennoch Terra incognita. Sogar westliche Politiker sind auf die Hilfe von Experten angewiesen, wenn es um Bewertungen und Prognosen geht. Das betrifft auch die Prioritäten, die Kasachstan während seiner Präsidentschaft setzen wird.

Details werden Mitte Januar erwartet, wenn in der Wiener Hofburg der Ständige Rat der OSZE erstmals unter Vorsitz Kasach-stans tagt. Westliche Diplomaten rechnen nicht nur mit einer anderen Kultur von Leitung und Entscheidungsfindung, sondern auch mit einer Verschiebung der Gewichtung der drei »Körbe« Sicherheit, Zusammenarbeit und Menschenrechte.

Präsident Nursultan Nasarbajew und dessen Außenamt ließen bereits durchblicken, dass sie Schwerpunkte bei politisch-militärischer und wirtschaftlicher Kooperation setzen werden. Neben Konfliktmanagement – darunter auch in Afghanistan – und vertrauensbildenden Maßnahmen geht es dabei auch um Abrüstung, vor allem auf konventionellem Gebiet und in Europa. Kasachstan, das trotz Bemühungen um gleiche Nähe – oder Distanz – zu den Großmächten als einer der verlässlichsten Verbündeten Russlands gilt, dürfte dabei auch für Dmitri Medwedjews Entwurf eines Vertrags über Europäische Sicherheit werben. NATO und EU stehen dem Projekt sehr skeptisch gegenüber: Ein gemeinsamer euroasiatischer Sicherheitsraum vom Atlantik bis zum Pazifik würde aus ihrer Sicht das westliche Verteidigungsbündnis schwächen. Die Rolle der OSZE dagegen würde gestärkt, und das entspricht den Interessen Kasachstans wie Russlands.

Moskau und Astana – das ehemalige Zelinograd ist seit 1997 die Hauptstadt Kasachstans – kommt dabei entgegen, dass ein informelles Außenministertreffen in Korfu im Juni 2009 den OSZE-Vorsitzenden verpflichtete, die auf der griechischen Insel begonnene Diskussion zum Thema »Zukunft und Sicherheit in Europa« fortzusetzen. Sogar ein Gipfel in Astana, der aus Prestigegründen ganz oben auf Kasachstans Wunschliste steht, würde damit möglich. Der letzte, von einem Vorsitzland ausgerichtete, fand 1999 in Istanbul statt. Seit der Krise in der Öffentlichkeit um Sparsamkeit bemüht, wollen die Staatschefs einem neuen Gipfel außerhalb Wiens nur bei »entsprechender Substanz« zustimmen, wie sich ein deutscher Diplomat ausdrückte.

Ob genug Substanz zusammenkommt, hängt auch davon ab, ob Kasachstan zu substanziellen Verbesserungen bei Menschenrechten bereit ist. OSZE-Beobachter kritisierten immer wieder, dass demokratische Mindeststandards nach wie vor um Längen verfehlt werden. Zwar ist Kasachstan – sogar für Russland – Vorbild, wenn es um ethnische und religiöse Toleranz geht. Russen stellen vor allem im Norden bis zu sechzig Prozent der Bevölkerung. Zum Islam bekennen sich ganze 47 Prozent der Kasachstaner, fast genau so viele zum orthodoxen Christentum. Wahlen sind jedoch nur halbwegs frei und alles andere als fair, die politische Opposition und unabhängige Medien werden massiv behindert. Dennoch: Seit die sogenannte Tulpenrevolution im benachbarten Kirgistan im März 2005 Präsident Askar Akajew stürzte, ist Kasachstan der freieste UdSSR-Nachfolgestaat in Zentralasien.

Die Demokratiedefizite hatten, als Kasachstan sich um den OSZE-Vorsitz bewarb, zu heftigen Kontroversen geführt. Vor allem die USA und Großbritannien meinten, das Land sei dafür nicht reif, selbst ein Vertrauensvorschuss, auf dem auch Deutschland bestand, sei daher verfrüht. Bleibt zu hoffen, dass Kasachstan seine Chance für konstruktive Schlussfolgerungen nutzt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.