Tod durch Kälte auch bei Plusgraden
Bei Erfrierungen gibt es eine hohe Dunkelziffer, da nicht alle Fälle untersucht werden
»Dutzende Kältetote in Europa« – bei bis zu minus 20 Grad. So oder ähnlich waren kurz vor Weihnachten Meldungen im ND und in vielen anderen Medien überschrieben. Sie suggerierten: Kältetote kann es nur bei extremer Kälte geben. Doch die Daten sind nicht immer verlässlich und auch die Begleitumstände der Kälte spielen eine große Rolle.
Zwar erfasst das Statistische Bundesamt in der Kategorie »Exposition gegenüber übermäßiger natürlicher Kälte« alle Todesfälle – im Jahr 2006 waren es 139, in 2007 um 43 weniger –, doch das muss nicht die ganze Wahrheit sein. Da ein Kältetod ohne Sektion kaum zu diagnostizieren ist, dürfte »die Dunkelziffer der Erfrorenen noch deutlich höher« sein, schrieb die Rechtsmedizinerin Heike Klotzbach einmal in der Zeitschrift »Rechtsmedizin«. Sie arbeitet als Oberärztin und Privatdozentin an der Universität Jena und weiß, dass entgegen der allgemeinen Annahme kein Frost herrschen muss, wenn ein Mensch erfriert. »Das kann sogar bei plus fünf Grad passieren.«
Entscheidend dafür sind individuelle Umstände wie Bekleidung, Windverhältnisse, Luftfeuchtigkeit, Ausgangstemperatur, Allgemeinzustand und Dauer der Kälte. Wer geschwächt ist, an Herzproblemen leidet, viel Alkohol getrunken hat (das beschleunigt den Wärmeverlust des Körpers), wer sich kaum bewegen kann und in feuchten Kleidern steckt, ist besonders gefährdet. Das müssen entgegen dem Klischee nicht nur Obdachlose sein; das gilt auch für Soldaten, Bergsteiger und Skifahrer.
Zur Unterkühlung kommt es schnell. Der Mensch hat ja kein Fell und keine Federn. Seine Fettschicht schützt ihn wenig. Ist es kühl, verengen sich die winzigen Blutgefäße der Haut, was die Durchblutung hemmt. Zunächst wird zwar mehr Blut in die Extremitäten gepumpt, dann aber ziehen sich die Gefäße zusammen, um das Blut dorthin fließen zu lassen, wo es noch nötiger ist: von der Haut zu Organen wie Herz, Lunge und Magen. Am ehesten gefährdet sind Finger- und Zehenspitzen, Nase und Ohren. Sinkt die Körpertemperatur von 36 bis 37 Grad um nur ein bis zwei Grad, kann sich das auf den gesamten Organismus auswirken. Schnell bedrohlich wird es, wenn die Blutzirkulation als Folge von Gefäßverkalkungen schlecht ist. Den Tod selbst spürt der Mensch nicht. Davor bewahrt ihn die Bewusstlosigkeit, die bei etwa 30 Grad beginnt.
Wie bei Verbrennungen gibt es bei Erfrierungen je nach Schwere mehrere Stufen. Der erste Grad bezeichnet eine Rötung und Schwellung der Oberhaut mit Kribbeln und Juckreiz. Beim zweiten Grad hat sich die Ober- und Lederhaut gelblich bis violett verfärbt; typisch sind nach dem Erwärmen schmerzhafte Blasen, die nicht geöffnet werden sollten. Schmerzmittel sind oft angebracht. Beim dritten Grad ist die Haut blassgrau, brüchig und hart. Nach dem Auftauen verfärbt sie sich blauschwarz, wird lederartig und gefühllos; das Gewebe ist dauerhaft abgestorben. Eine Ausschneidung oder Amputation ist dann oft nötig.
Wie schützt man sich am besten? Ganz wichtig sind warme Kleidung samt Handschuhen, Schal und Mütze, denn vom Kopf strahlt die meiste Körperwärme ab. Hinzu kommen gute, nicht zu enge Schuhe, eventuell auch eine fettreiche Hautschutzsalbe. Sollte man unterkühlt sein, müssen die betroffenen Stellen langsam mit lauwarmem, niemals heißem Wasser sowie mit trockenen, warmen Händen erwärmt werden. Keinesfalls empfiehlt es sich, zu reiben oder zu massieren – auch nicht mit Schnee. In den gefrorenen Blutgefäßen könnten sich Thromben gebildet haben. Heiße, gezuckerte Getränke tun gut, niemals Alkohol geben. Füße hochlagern!
Kälteopfer
Temperaturen um minus 20 Grad forderten vor allem in Osteuropa Todesopfer: 42 in Polen, 27 in der Ukraine, 12 in Tschechien und 11 in Rumänien. In Deutschland waren am Wochenende mindestens 7 Menschen gestorben, in Österreich erfroren 3 Menschen auf dem Heimweg von Feiern. Ein Slowake kam am Sonntag bei einem Lawinenabgang in der Hohen Tatra um. 42 Menschen erfroren in Polen. dpa am 22.12.09
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