Glanzzeit am Gänsemarkt

Berlin: Akademie für Alte Musik im historischen Originalklang

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie zeichnen sich gleichermaßen durch musikantischen Esprit wie durch kreative Sicht auf Historisches aus: die Musiker der Berliner Akademie für Alte Musik. Mehr als 25 Jahre in Aktion, haben sie sich zu einem der besten Ensembles ihrer Art entwickelt und einem wachsenden Publikum nicht selten Vergessenes von einst geöffnet. Dabei geht es den in ihrem Metier jeweils vorzüglichen Instrumentalisten keineswegs vordergründig um Karriere, sondern stets um die Aneignung künstlerischer Welten der Vergangenheit aus heutigem Verständnis.

Eine Reihe in Kooperation mit der Berliner Philharmonie erhebt das zum Programm: Ihr Titel »Originalklang« meint die möglichst aktivierte historische Aufführungspraxis im Kontext einstiger Funktion der überlieferten Musiken und ihrer Wirkung. Beim jüngsten Abend im Kammermusiksaal wurde die Hamburger Oper am Gänsemarkt in ihrer Glanzzeit vorgestellt. Das von 1678 bis 1738 existierende Haus bot erstmals in Deutschland neben der dominierenden höfischen, italienischen Oper eine frühbürgerliche Variante: grundsätzlich deutsch, aber auch mehrsprachig gesungenes Muiktheater für ein öffentliches Publikum der weltoffenen Hansestadt. Es konnte sich an »Singe-Spielen« zu mythischen und historischen Geschichten wie an prunkvoller Szene erfreuen. Wichtig war, wie Johann Mattheson, gewichtiger Musikschriftsteller jener Zeit, berichtete, die »Untermischung einiger Lustbarkeiten«. Sonst bedeutete für ihn die Oper im Sinne der Aufklärung eine moralische Anstalt, die von »guten Bancken« im reichen Hamburg gesichert werde. Dass der Untergang der Gänsemarktoper schließlich an finanziellen Problemen Hamburgs scheiterte, lässt an Heutiges denken.

Das Programm im amphitheatralen Rund des Kammermusiksaals hatte natürlich nicht den Ruin, vielmehr die Blütezeit dieser bürgerlichen Oper im Auge. Vor allem wurde genannte »Untermischung von Lustbarkeiten« zum inspirierenden Gestaltungsprinzip. Eine dramaturgisch lockere Folge instrumentaler und vokaler Auszüge damals maßgeblicher Kompositionen schien manches von jenem Amüsement überspringen zu lassen, das die Hamburger Bürger einst vergnügt hat. Zudem erlebte man den Kreis jener sämtlich aus Sachsen stammenden Komponisten, die das Ganze bestimmten. Neben Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel (hier 18-jährig Tuttispieler der 2. Geigen) vor allem als dortige Hauptakteure Reinhard Keiser und Johann Christian Schiefferdecker, von dem zwei Instrumnetalsätze, Ouverture und Chaconne zu Beginn erklangen.

Die folgenden Opernteile wirkten als geistvolle Arrangements im Ganzen. Keisers Singspiele »Claudius«, »Croesus« und »Jodelet«, Telemanns »Orpheus« und Händels »Almira« (dessen erste Oper überhaupt) gaben sich als artifizielle Lustbarkeiten par exzellence. Denn sie wurden in musizierter und expressiver Eleganz geboten, die ihresgleichen sucht: Federleicht, virtuos und klangschön ergab sich ein perfektes Zusammenspiel und hinreißende Ausstrahlung. Das gilt ganz besonders für die bezaubernde französische Sopranistin Sandrine Piau, die mit traumhaft schöner Stimme und faszinierenden Koloraturen die Solopartien zum Ereignis werden ließ. So die innige »Croesus«-Arie »Liebe, sag', was fängst du an?« oder Händels »Almira«-Gesänge wie das Rache schwörende »Kochet ihr Adern ...«, ein virtuoser Schluss in technisch wie gestalterisch vollkommenem Gesangsstil und völliger Übereinstimmung mit den begleitenden Instrumentalparts.

Hervorragendes gab es auch instrumental zu erleben: bei Telemanns leicht und durchsichtig erklingendem e-Moll-Konzert mit phänomenalen Solisten auf der Alt-Blockflöte (Anna Fusek) und Traversflöte (Christoph Huntgeburth) wie bei Händels »Almira«- Ouverture, die mit einer Suite von Tanzsätzen den Ariengesang ergänzte. Meisterhaftes Spiel des Ensembles in feiner Klangkultur, gewürzt durch hübsche Perkussions-Effekte von Kastagnetten, Tambourin oder Trommel. Lustbarkeiten und Lebensfreude für heute. Beifallsstürme und Zugaben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.