Panikattacken im Weißen Haus
Eine Senatsnachwahl in Massachusetts gefährdet Obamas Gesundheitsreform
Der Kennedy-Clan hatte quasi ein Dauerabonnement auf einen der beiden Sitze von Massachusetts im Bundessenat auf dem Washingtoner Capitol. Auch den zweiten Senatssitz sowie alle Kongressabgeordneten, die der Bundesstaat derzeit in der Hauptstadt stellt, kommen von den Demokraten. Umso größer nun die Aufregung bei Barack Obamas Parteigängern – und ihm selbst –, weil letzte Umfragen vor der heutigen Nachwahl für die Nachfolge Senator Kennedys ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Anwärterin der Demokraten, der Generalstaatsanwältin von Massachusetts, Martha Oakley (56), und dem Außenseiter Scott Brown (50) von den Republikaner erwarten lassen. Ein Sieg Browns in der Hochburg der Demokraten wird nicht mehr kategorisch ausgeschlossen.
Allein diese Möglichkeit hat Panikattacken im Apparat der Demokraten und im Weißen Haus sowie eine Reihe bis dahin ungeplanter Besuche in Massachusetts ausgelöst. Erst nahm der Präsident einen Fernsehspot auf, um Ms. Coakley den Wahlkampfrücken zu stärken. Dann kam es vergangenen Freitag zu einem anfangs nicht vorgesehenen Besuch von Ex-Präsident Clinton sowie dem Senator und Präsidentschaftskandidaten der Demokraten von 2004, John Kerry, mit demselben Ziel. Und da sich die Nachrichten von der Wahlkampffront einfach nicht aufhellten, griffen Parteimaschine und Präsidialbürokratie zum Äußersten: Für den gestrigen Sonntag wurde Obama in Massachusetts angekündigt, um das Steuer herumzureißen und einen Sieg der Demokraten wieder wahrscheinlicher zu machen.
Es gibt Gründe für das Flügelschlagen. Mit Massachusetts haben sie nur insofern zu tun, als sich kein guter Demokrat vorstellen mag, dass ausgerechnet der Kennedy-Sitz, den der Senator 46 Jahre innegehabt hatte, an einen Republikaner fällt. Die bundespolitische Bedeutung eines möglichen Wechsels ist doppelter Natur und gravierend: Strategen der Demokraten befürchten, dass ein Verlust die Nervosität bei den Demokraten im Vorfeld der Kongresswahlen im November dieses Jahres gefährlich anheizen, dem Wahlkampf eine neue, die Republikaner begünstigende Dynamik verleihen und zu weiteren Kandidaturverzichten gefährdeter Demokraten in Senat und Repräsentantenhaus für eben diese Wahlen führen könnte – Massachusetts im Januar als Omen für eine Wahlniederlage im November?
Der zweite Grund hat es ebenso in sich. Verlieren Obamas Demokraten den Kennedy-Sitz an die Republikaner, steht die nationale Gesundheitsreform, die sich unmittelbar vor ihrer Verabschiedung im Kongress befindet und mit deren Beschluss Obama seinen in wenigen Tagen fälligen Bericht zur Lage der Nation über das erste Jahr seiner Präsidentschaft krönen will, wieder auf der Kippe. Den Demokraten ginge dann nicht nur eine Senatsstimme verloren, sondern die Mehrheit von 60 im 100 Mitglieder zählenden Senat. Diese Mehrheit bietet parlamentarischen Schutz gegen weitere Verwässerungs- und Blockadeversuche der Republikaner im Hinblick auf das komplexe und auch aus anderen Gründen gefährdete Gesetzeswerk. Sollte sie verloren gehen, gerät die Reform in akute Lebensgefahr und die Präsidentschaft Obama in bislang unbekannte schwere Turbulenzen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.