Der größte Waffenschmuggel aller Zeiten

Vor 20 Jahren wollten deutsche Militärs aus Ost und West Feindschaften beenden. Heraus kam etwas ganz anderes

  • Rene Heilig
  • Lesedauer: 8 Min.
Während Anfang 1990 Panzer durch Jerewan rollten, in Nagorny Karabach Menschen starben, klangen die Nachrichten aus den beiden Deutschlands scheinbar entspannt: Für Mitte Februar war ein Treffen zwischen Kanzler Kohl (BRD) und Ministerpräsident Modrow (DDR) geplant. Bereits am 17. Januar hatten sich »in entspannter Atmosphäre« einige von denen getroffen, die – wäre es zum Schlimmsten gekommen – den Klassenkampf aus militärischen Bunkern heraus geleitet hätten.

Eine Stunde redeten Generalleutnant Manfred Grätz, Chef des Hauptstabes der Nationalen Volksarmee, und Admiral Dieter Wellershoff, Generalinspekteur der Bundeswehr, miteinander. Der Inhalt? Viel verlautete nicht, an die Medien verteilte man ein Kommuniqué, sprach ein paar freundliche Worte. Die, die hüben und drüben das Treffen der beiden Chefgladiatoren vorbereitet hatten, waren froh, dass alle protokollarischen Hürden genommen worden waren.

Grätz tat so, als würde noch eine intakte NVA bestehen, die ihren verfassungsgemäßen Auftrag auch künftig erfüllen werde und Wellershoff war so nett, das Thema nicht zu vertiefen, sondern zu versichern, dass man zwar für weitere Abrüstungsschritte zu haben sei, doch dass die nicht bilateral zu erreichen sind. Der richtige Ort dafür seien die laufenden Abrüstungsgespräche in Wien. Man versicherte einander, im jeweils anderen Deutschland keinen Feind mehr zu sehen, betonte jedoch, erst am Anfang der Beziehungen zu stehen. Dem Anfang folgte rasch das Ende. Das der DDR.

An jenem 17. Januar konnte noch niemand ahnen, dass schon bald 100 000 Iraker (oder mehr?) im »Wüstensturm« auch durch ostdeutsche Waffen umkommen würden. Die Volksmarine-Korvette »Wolgast« hieß noch nicht »Pulau Rote« und hatte noch keine indonesische Flagge am Mast. Und der Kurde Mesut Dündar hatte noch etwas über eineinhalb Jahre Zeit, um den Traum eines freien Kurdistans zu träumen. Die Tatsache, dass Deutsche und Deutsche nach 1989 keinen Feindbildern mehr trauten und dass sie als ehemalige unversöhnliche Feinde schon bald in Sekt und Gemeinsamkeit badeten, hat Zehntausende in fremden Ländern das Leben gekostet. Wenn einer also den Untergang der DDR beklagt, so möge er auch diese Toten in seine Klage einbeziehen.

NATO-Verbündete zeigten Neugier

Es war erneut Winter und bitterkalt, als mein Kollege Rainer Funke und ich in einem halbwegs unauffälligen Redaktions-Lada vor dem Kasernentor in Ladeburg nördlich von Berlin warteten. Journalisten sind neugierig, zumal, wenn sie einen Tipp bekommen haben. Die Flugabwehr-Raketenstellungen, die einst die DDR-Hauptstadt beschützen sollten, waren – weil Grätz und Wellershoff und Modrow und Kohl sich so entspannt unterhielten – entschärft, doch nicht verlassen.

Das Tor öffnete sich, beladene Tatra-Laster fuhren heraus, begleitet von Bundeswehr-Bewaffneten. Sie orientierten sich gen Norden, kurz vor dem Abzweig Wittstock teilte sich der Konvoi. Wir blieben an den Fahrzeugen »kleben«, die zunächst nach Rövershagen fuhren. Dort, unweit des Ostseeufers, waren die Küstenraketen der NVA stationiert. Von dort ging es dann weiter Richtung Nordwesten, in Hamburg und Bremerhaven warteten Schiffe auf die Ladung.

Der Grund: Israel hatte im Bonner Verteidigungsministerium 35 verschiedene NVA-Hightech-Waffen oder deren Komponenten zur »technischen Auswertung« angefordert. Das Interesse der US-Streitkräfte war nur um zwei Positionen geringer. Großbritannien, Frankreich und die Niederlande verbargen ihre Neugier auf das, was die Ost-Waffen konnten, ebenfalls nicht.

Das Interesse galt allen in der NVA genutzten Raketenkomplexen, man wollte Radar-, Laser- und Feuerleittechnik testen, Freund-Feind-Kennungsgeräte untersuchen – kurzum: Mögen die Deutschen sich nicht mehr Feind sein – die Welt macht das deshalb noch lange nicht friedlich! Die Tatras aus Ladeburg transportierten – geheimdienstlich beschützt – Überlegenheit.

Und die wurde schon bald gnadenlos genutzt. Allein die USA bekamen fast 90 T-72-Panzer. Dazu Flugzeuge: 14 MiG 23 und fünf Su-22. Man schmuggelte ganze Batterien Fla-Raketen in die Staaten. Die Übergabeliste hat rund 30 Positionen. Die Waffen wurden getestet, man konnte mit ihnen ganze irakische Regimenter simulieren und die besten Methoden zu ihrer Vernichtung trainieren.

Wer in der NVA gedient hat, kann – neben all den Widrigkeiten des sogenannten Ehrendienstes – stolz, zumindest aber beruhigt sein, in einer Armee des Friedens gedient zu haben. Doch ab 1990 ist das Bild der Friedensarmee in Frage zu stellen. Für die Zeit danach, als es Waffen und Technik, doch kaum noch NVA-Soldaten gab, muss man sich den Ruf gefallen lassen: (Ost-)Deutsche Waffen und (west-)deutsches Geld mordeten fortan mit in aller Welt. Einige Abwickler der NVA passten sich den neuen Bedingungen rasch an.

Es gab beispielsweise einen »Generalvertrag« über den käuflichen Tod: Eine Pistole Makarow kostete danach zehn D-Mark, eine Kalaschnikow-MPi war je nach Modell für 45 oder 48 D-Mark angepriesen. Die Liste ist seitenlang: Panzer, Raketen, Hubschrauber, Kampfflugzeuge … Alles, was sich zu Geld machen ließ, wurde penibel erfasst. Unterschrieben hat die Angebotsliste NVA-Generalleutnant Ullmann, der sich im Sommer 1990 nicht mehr daran gebunden fühlen musste, was der einstige DDR-Premier Hans Modow zu Jahresbeginn angeordnet hatte: Kein Export von Waffen und militärischem Gerät!

Das hat den unter Premier de Maizière eingesetzten Minister für Verteidigung und Abrüstung, Rainer Eppelmann – Pfarrer und Gründer des »Demokratischen Aufbruchs« –, nicht daran gehindert, einen Befehl 31/90 über »Maßnahmen zum Verkauf von Material und Ausrüstungen aus den Beständen der NVA« zu erlassen. In seinem Hauptquartier scherzte man über den schwungvollen »Ablass-Handel«. Werner Ablaß war unter Eppelmann Staatssekretär und wurde später fürstlich abgefunden.

Doch der eigentliche Chefverkäufer hieß schon zu diesem Zeitpunkt Ludwig-Holger Pfahls. Den Namen hört man derzeit wieder, wenn es um Korruptionsvorgänge im Fall Karlheinz Schreiber geht, der gerade in Augsburg verhandelt wird. Pfahls, damals Rüstungsstaatssekretär auf der Bonner Hardthöhe, hat damals angeordnet: »Es soll vermieden werden, dass Ressourcen der DDR, die für die militärische und zivile Landesverteidigung möglicherweise weiter nötig sind, zwischenzeitlich abgegeben bzw. veräußert werden.« Seltsam, nicht einmal die Treuhand protestierte gegen den Gesetzesverstoß.

Wenn es um die Auflösung der NVA geht, dann wird immer die gigantische Arbeit beim Zerstören der Waffen und der Munition bemüht. In dem Festband zu 50 Jahren Bundeswehr rühmt sich die Truppe dieser Aufgabe. »Die NVA hinterließ eine Fülle von Material: über 2300 Kampfpanzer, knapp 9000 gepanzerte Kampf- und Spezialfahrzeuge, mehr als 5000 Artillerie-, Raketen- und Flugabwehrsysteme, etwa 700 Kampf- und Transportflugzeuge sowie Hubschrauber, 192 Kriegsschiffe …«

Diese Zahlen sind imponierend. Doch stimmen sie? Warum ließ das Bundesverteidigungsministerium nie die Materialübergabe dokumentieren? In jedem ordentlichen Laden gibt es Inventuren. Das Bundeswehrkommando-Ost unter General Jörg Schönbohm hat sie nicht gemacht. Dabei hatten die NVA-»Buchhalter« alles vorbereitet.

Vielleicht ist die Erklärung simpel. Bereits vor dem endgültigen Ende der NVA lagen Bestellungen aus 44 Staaten, darunter elf NATO-Ländern vor. Die Anzahl der »Bedürftigen« wuchs bis zum Jahresende 1990 auf 70 Staaten an.

Die Masse des Materials ging als »Schenkung« an jene, die vor den Grenzen Iraks aufmarschiert waren und dann unter US-Führung über das Land herfielen. Offiziell beteiligte sich Deutschland nicht mit Soldaten, wohl aber mit Technik im Wert von rund 740 Millionen D-Mark. Viel ehemaliges NVA-Material ging als Verteidigungshilfe an die Südgrenze der NATO. Griechenland und die Türkei erhielten Waffen und Gerät. Ehemalige DDR-Schützenpanzerwagen waren für den Einsatz gegen PKK-Kurden geeignet. Man erinnert sich an das Bild eines 60PB, der einen menschlichen Körper hinter sich zog. Es war besagter Mesut Dündar.

Die Menschenrechte galten wenig

Und dann waren da noch die Schiffe der ehemaligen Volksmarine. 39 davon gingen nach Indonesien. Zur Piratenbekämpfung, beschwichtigte man die Öffentlichkeit, um davon abzulenken, dass die Kampfschiffe zur Aufstandsbekämpfung in Ost-Timor eingesetzt wurden. Allein der Vorgang wäre einen Kriminalroman wert. Die Schiffe wurden von Bonn an den Staatsminister für Forschung und Technologie der Republik Indonesien namens Habibie übergeben. Der hatte in Westdeutschland studiert und schon so manchen Waffendeal eingefädelt. Wegen der Menschenrechtsverletzungen in Indonesien hätte die Genehmigung des Exports – mit Blick auf bestehende deutsche Gesetze und Verordnungen – nicht erteilt werden dürfen. Aber: Der damals in Indonesien regierende Diktator Suharto war dem heutigen Altbundeskanzler Helmut Kohl stets ein »guter Freund«.

Nicht vergessen werden sollen die Exporte ins ehemalige Jugoslawien. Auch wenn die Bundesregierung vorgab, nicht zu wissen, wie ehemalige NVA-Waffen nach Kroatien gelangt sind – unter dessen MiG 21-Flugzeugen konnten eindeutig welche ausgemacht werden, die in der DDR mit NVA-Kennung geflogen waren.

Was am 17. Januar 1990 als Beitrag zur Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten begonnen hat, kann man im Ergebnis auch ganz anders bewerten.

Militärs aus zwei Staaten

Dieter Wellershoff studierte nach dem Abitur in Krefeld Maschinenbau in Aachen, war Mitglied bei der Studentenverbindung Corps Marko-Guestphalia, gab das Studium auf und ging 1957 zur Bundesmarine. Dort hatte er Kommandofunktionen.

Von 1967 bis 1968 absolvierte er den Admiralstabslehrgang an der Führungsakademie und erhielt den General-Heusinger-Preis des Lehrgangsbesten. Vom 1. April 1986 bis 1991 war der Admiral neunter Generalinspekteur der Bundeswehr – und der erste, der nicht mehr in der Wehrmacht gedient hatte.

Er führte Bundeswehr und Nationale Volksarmee unter dem Motto »Armee der Einheit« zusammen. Das gilt als seine wichtigste Leistung.

Manfred Grätz ist Sohn eines Arbeiters. Nach dem Abitur war er ab 1952 bis 1954 Offiziersschüler. Grätz besuchte eine sowjetische Militärakademie, später die Generalstabsakademie der UdSSR. Es folgten weitere Kommandeursfunktionen. Zum Generalmajor hat man ihn 1979 ernannt. Nach der Entlassung von Generaloberst Fritz Streletz am 31. Dezember 1989 wurde Vizeverteidigungsminister Grätz Chef des NVA-Hauptstabes. Am 30. September 1990 hat man ihn in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Als Angeklagter in einem sogenannten Mauerschützenprozess wurde Grätz 1998 vom Berliner Landgericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

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