Angst vor Strahlenrisiko

Diskussion in der Einwohnerversammlung von Geesthacht

  • Dieter Hanisch, Geesthacht
  • Lesedauer: 3 Min.
Anwohner des Pannen-Atomreaktors Krümmel (Schleswig-Holstein) wollten bei einer Veranstaltung am Donnerstagabend von Behördenvertretern wissen, wie diese die Gesundheitsrisiken einzudämmen gedenken. Diese freilich wissen nichts von Risiken.

Von der Einwohnerversammlung im Ratssaal von Geesthacht erhofften sich viele Besucher Antworten. Doch die Wissenschaftler räumten über drei Stunden nur ihre Ohnmacht ein. Die sogenannte KiKK-Studie über eine signifikant höhere Kinder-Leukämierate im Umkreis von Kernkraftwerken sorgte aber auch am Standort des Reaktors Krümmel für eine lebhafte Debatte.

Die Emotionen waren schon im Vorfeld hochgekocht: Der Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters, Peter Kaatsch, gab der Stadt einen Korb und wollte auch keinen Vertreter schicken. Offenkundig störte er sich an der Anwesenheit des Epidemiologen Eberhard Greiser, einem der Autoren der KiKK-Studie. Dieser fasste noch mal kurz zusammen, dass eine Krebshäufung nicht nur in einem Fünf-Kilometer-Radius um die Atomanlagen sichtbar wurde, sondern der Zirkel bis zu zehn Kilometer und weiter gezogen werden könne.

Rolf Michel, Vorsitzender der Strahlenschutzkommission, und Thomas Jung vom Bundesamt für Strahlenschutz machten methodische Schwächen an der Studie aus. Beide betonten, dass die Nähe eines Atomkraftwerkes keine ausreichende Erklärung für die Erkrankungshäufigkeit biete, da die genehmigte Strahlenexposition eines AKW 1000mal niedriger ausfalle als die entsprechende Dosis natürlicher Strahlung. Laut Michel ist man bei jedem Transatlantikflug einer höheren Strahlung ausgesetzt. Für ihn steht fest, dass es eine multifaktorielle Ursache für die Leukämiedichte geben müsse. Wolfgang Cloosters von der Atomaufsichtsbehörde der Landesregierung Schleswig-Holsteins berichtete, eine Untersuchung mit dem Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf auf virologische Ursachen habe zu keiner Auffälligkeit im Fall des »Clusters« Krümmel geführt. Weltweit gibt es neben Krümmel nur noch zwei Orte mit Atomanlagen – Sellafield und Dounreay (beide Großbritannien), wo die Leukämieanhäufung bei Kindern seit Jahren überproportional hoch ausfalle, ohne dass bisher eine Erklärung gefunden wurde. In der Elbmarsch rund um Geesthacht wurden seit 1989 je nach Zählweise 15 bzw. 19 Leukämiekinder registriert, obwohl laut Krebsregister nur 5 zu erwarten gewesen wären.

Für Winfried Eisenberg von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW wird bei der Ursachensuche zu wenig darauf geachtet, dass der Zellorganismus von Kindern und Embryos strahlenempfindlicher und -anfälliger sei als bei Erwachsenen. Deshalb könne aus seiner Sicht der besagte Faktor 1000 niemanden beruhigen.

Jungs Aussage, dass die Leukämierate jährlich um 0,6 Prozent ansteige und dass es in der DDR eine 20 Prozent niedrige Zahl an Leukämieerkrankten gab, die sich den alten Bundesländern aber angeglichen habe, sorgte für noch mehr Nachdenklichkeit. Atomgegner wiesen darauf hin, dass sich in Geesthacht mit dem Zwischenlager und dem GKSS-Forschungszentrum weitere Atomanlagen befinden. Das Vertrauen in die Betreiber wurde just weiter erschüttert, weil aufgedeckt wurde, dass im Zwischenlager falsch deklariertes Material gelandet ist.

Der Umweltverband BUND und besorgte Eltern forderten die Verantwortlichen auf, anhand des Risikos endlich zu handeln. Dass man dieses nicht erklären könne, sollte nicht vom Handeln abhalten. Katrin Mentzel-Pajuelo von der Elterninitiative Geesthacht forderte unter tosendem Applaus: »Im Zweifelsfall muss der Schutz der Kinder vor dem Schutz der AKW stehen. Man muss nicht erst auf Verursacher reagieren, sondern auf den aktuellen Zustand.«

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