Dammbruch bei den Krankenkassen

Immer mehr gesetzliche Versicherer kündigen die Erhebung von Zusatzbeiträgen an

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Mindestens zehn Millionen gesetzlich Krankenversicherte müssen in diesem Frühjahr mit Zusatzbeiträgen zu ihrer Krankenversicherung rechnen. Neben der DAK kündigten weitere Kassen wie die AOK Schleswig-Holstein, die KKH Allianz oder die BKK Gesundheit am Montag in Berlin an, im ersten Halbjahr 2010 Zusatzbeiträge von in der Regel acht Euro monatlich zu erheben.
Zusatzbeiträge – für die meisten Kassen kein Tabu mehr Foto:dpa
Zusatzbeiträge – für die meisten Kassen kein Tabu mehr Foto:dpa

Der Damm scheint gebrochen und die Erhebung von Zusatzbeiträgen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steht auf der Tagesordnung. Im nächsten, spätestens übernächsten Jahr, so die Prophezeiung der meisten Experten, werden wohl alle Kassen solche Beiträge erheben. Ein Wechsel lohne sich daher kaum. Das klingt nach Resignation und die ist angesichts der Umstände auch durchaus nachzuvollziehen.

2010 werde in der GKV trotz des Steuerzuschusses von 3,9 Milliarden Euro ein Defizit von vier Milliarden Euro erwartet, sagte der Gesundheitswissenschaftler Günter Neubauer vom Münchner Institut für Gesundheitsökonomik gestern in Berlin. Die Tendenz steigender Ausgaben bei sinkenden Einnahmen besteht seit Jahren. Nach Berechnungen der AOK sind die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten fünf Jahren um 30 Milliarden Euro gestiegen, das sind 20 Prozent. Ausgabenkonsolidierung – nach Ansicht der meisten Fachleute unverzichtbar – findet allerdings nur auf der Seite der Arbeitgeber statt, denn sie werden an den wachsenden Gesundheitskosten nicht mehr beteiligt. Zusatzbeiträge zahlen nur die Versicherten, am meisten benachteiligt sind Geringverdiener. Aus den acht Euro im Monat könnten auch bald 37,50 Euro werden, das ist die gesetzlich vorgeschriebene Höchstbelastung. Aber selbst diese Grenze könnte fallen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat schon vorgeschlagen, Zusatzbeiträge bis zur Höhe von 2,5 Prozent des Einkommens der Versicherten zu verlangen. Noch dementiert Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) diese Absicht. Das heißt jedoch nicht, dass sie völlig abwegig wäre.

Rösler hat bisher keine Vorschläge zur Verbesserung der Finanzen in der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgetragen. Fast scheint es, als betrachte er deren zunehmende Destabilierung als gute Grundlage, das System vollends in Frage zu stellen und die unsolidarische Kopfpauschale einführen zu können. Seine Ankündigung, die Kosten eindämmen zu wollen, erscheint vollkommen unglaubwürdig. Immerhin war sein Ministerium an der Entlassung des pharmakritischen Chefs des Institutes beteiligt, das Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln – für sie geben die Kassen immerhin 30 Milliarden Euro im Jahr aus – vornahm. Genau diese Analysen sollen nun nach Röslers Vorstellungen noch strenger werden. Es ist zu befürchten, dass dies nur leere Worte bleiben.

Auch wenn einzelne Kassen versichern, in diesem Jahr noch keine Zusatzbeiträge erheben zu wollen und die SPD ein neues solidarisches Konzept für die Gesundheitsversorgung ankündigt, ist die dramatische Wende in der Gesundheitspolitik, vor der die Sozialverbände seit Langem warnen, längst eingeleitet. Philipp Rösler denkt bereits über einen Steuerausgleich für jene nach, die durch die geplante Gesundheitspauschale Mehrbelastungen ausgesetzt sind. Einen »Gesundheits-Soli«, von dem das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« aus dem Bundesfinanzministerium erfahren haben wollte, hält er nicht für notwendig .

Zusatzbeiträge

Zusatzbeiträge waren von der vorigen Bundesregierung zusammen mit dem Gesundheitsfonds und dem von der Regierung festzulegenden Einheitsbeitragssatz beschlossen worden. Krankenkassen, die mit Zuweisungen aus dem Fonds nicht auskommen, können bis zu acht Euro pauschal oder bis zu einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens eines Versicherten fordern, im Höchstfall 37,50 Euro monatlich. Der Zusatzbeitrag kann kurzfristig eingeführt werden. Die Versicherten haben dann ein Sonderkündigungsrecht, können ihre Kasse binnen zwei Monaten wechseln. Beides gilt auch rückwirkend. epd/ND

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