Globalisierungskritik auf dem Prüfstand
Das Weltsozialforum feiert im brasilianischen Porto Alegre seinen zehnten Geburtstag
Das Weltsozialforum ist einzige große Erfolgsgeschichte – jedenfalls, wenn es nach den Mitbegründern Chico Whitaker (78) und Oded Grajew (65) geht. »Vor dem ersten Forum 2001 wurden wir vom damaligen brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso als Maschinenstürmer verspottet«, erinnert sich der Ex-Unternehmer Grajew. »Das Forum erfindet sich ständig neu«, sagt Whitaker, der kürzlich sein Buch über das »Weltsozialforum als offener Raum« in Japan vorgestellt hat. Im Februar 2000 hatten die beiden in Paris Bernard Cassen von der linken Monatszeitung »Le Monde Diplomatique« die Idee einer Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum präsentiert. Die globalisierungskritische Bewegung war gerade durch das Scheitern der Welthandelskonferenz in Seatt-le aktiviert, und Attac-Mitglied Cassen war Feuer und Flamme. Er schlug Porto Alegre vor, dessen Beteiligungshaushalt gerade in Europa als Modell kommunaler Demokratie Furore machte.
Im Januar 2001 kamen zum ersten Weltsozialforum gut 15 000 Teilnehmer. Nach einer transatlantischen Videokonferenz mit Davos war der gewünschte Gegenpol zum »neoliberalen Einheitsdenken« hergestellt. 2004 fand das Großereignis im indischen Mumbai statt – ein Qualitätssprung, wie Chico Whitaker findet: »Auf einmal standen nicht mehr weiße Mittelschicht-Intellektuelle im Vordergrund, sondern die Massen der Ausgegrenzten«. Für ihn war es eine Bestätigung jener »Horizontalität«, die er als Grundprinzip immer verteidigt.
Bernard Cassen hingegen fordert die Überwindung der Unübersichtlichkeit: Lange genug habe die Weltbürgerbewegung ihre Alternativen zum Neoliberalismus präsentiert, nun müsse das Weltsozialforum endlich als »gemeinsame Plattform« Einfluss auf die Politik nehmen. Besondere Hoffnungsträger sind aus dieser Perspektive die linken Präsidenten Südamerikas.
Zwei Vorschläge, die Bewegung der »Altermondialisten« schlagkräftiger zu machen, werden auch in Porto Alegre diskutiert. So hat Präsident Hugo Chávez aus Venezuela unlängst die Gründung einer »Fünften Internationale« angeregt, dem bolivianischen Vizepräsidenten Álvaro García Linera schwebt eine »Internationale der sozialen Bewegungen« vor. Die »Marke« Weltsozialforum jedoch, das stellten Whitaker und Grajew auf der offiziellen Pressekonferenz zum Auftakt klar, ist dafür nicht zu haben. Dabei wissen sie sich auch im Einklang mit der Mehrheit des Internationalen Rates, dem obersten Gremium des Forums.
In Porto Alegre liegt der Fokus auf dem internationalen Strategieseminar, wo das ganze Spektrum der Globalisierungskritik abgearbeitet wird. Schon von der Anlage her ist aber auch diesmal eine Bündelung so gut wie unmöglich. »Der Weg ist das Ziel«, bekräftigte Whitaker, der Neoliberalismus sei diskursiv am Boden. Susan George ist das zu wenig. Die Weltbürgerbewegung sei nicht sichtbar, klagt die prominente Attac-Aktivistin, »wir haben 2009 eine große Chance vertan«. Jetzt sei mehr Kraft und eine größere Fokussierung nötig, »damit wir zur Abwechslung mal damit anfangen können zu gewinnen«.
Konsens herrscht allerdings darüber, dass Weltfinanzkrise und Klimawandel eine Abkehr vom Raubtierkapitalismus erforderten. So setzen Indígenas und Intellektuelle aus den Andenländern Ecuador, Peru und Bolivien auf die Vision vom »Guten Leben«. Das Konzept passt gut zur Debatte um Gemeingüter, die in den letzten Jahren besonders intensiv geführt wird. Ziel sei eine Gesellschaft, »die jenseits von Markt und Staat Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen und bessere Lebensbedingungen für alle bietet«, sagt die Publizistin Silke Helfrich aus Jena, die dazu in Porto Alegre referiert.
Darüber hinaus sind knapp 500 Workshops und Kulturveranstaltungen geplant, vor allem in den Nachbarstädten Canoas, São Leopoldo und Novo Hamburgo. Im Gegensatz zu Porto Alegre werden diese Großstädte von Bürgermeistern der Arbeiterpartei (PT) regiert. Zu den Sponsoren des Regionalforums, zu dem 30 000 Teilnehmer erwartet werden, gehören wieder staatliche Banken und der Ölkonzern Petrobras, in denen Schlüsselpositionen von PT-Mitgliedern besetzt sind.
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