Haiti braucht vor allem Hilfe zur Selbsthilfe

Bill Quigley: Militarisierung hemmt und schadet dem Land

  • Lesedauer: 3 Min.
Bill Quigley ist Menschenrechtsanwalt und Professor für Recht an der Loyola-Universität in New Orleans. Mit dem Direktor des 1966 in den USA gegründeten Zentrums für Verfassungsrechte, das aus der Bürgerrechtsbewegung hervorging, sprach für ND Harald Neuber.
Bill Quigley ist Menschenrechtsanwalt und Professor für Recht an der Loyola-Universität in New Orleans. Mit dem Direktor des 1966 in den USA gegründeten Zentrums für Verfassungsrechte, das aus der Bürgerrechtsbewegung hervorging, sprach für ND Harald Neuber.

ND: Die USA haben nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti über 10 000 Soldaten in den Karibikstaat geschickt, rund 5000 von ihnen sind nach Angaben des Fernsehsenders CBS nach wie vor im Katastrophengebiet. Weshalb diese massive Truppenentsendung?
Quigley: Die Obama-Regierung hat sich nach der Naturkatastrophe entschieden, den Fokus auf Sicherheitsfragen zu legen. Sicherheit zu schaffen ist aber gleichbedeutend mit der Mobilisierung der Armee. So erklärt sich die massive Militarisierung. Nicht nur der Flughafen von Port-au-Prince wurde von der US-Armee übernommen. Die Militärs haben auch andernorts das Kommando an sich gerissen. Viele Experten halten das für einen der zentralen Fehler, denn humanitäre Hilfe und militärische Einsätze haben unterschiedliche Ziele.

Dennoch dauern die Berichte über Sicherheitsprobleme an. Sie haben selbst Kontakt zu Helfern vor Ort. Wie ist die Lage?
Die Angst und die Sorge der haitianischen Bevölkerung nach dieser schrecklichen Katastrophe ist leider einer der Hauptgründe für die militaristische Reaktion. Helfer, so lautet die Botschaft, müssen vor den Hilfsbedürftigen beschützt werden. Das ist aber nicht wahr, denn kein einziger Helfer wurde in den vergangenen Wochen angegriffen oder gar verletzt.

Was müsste also anders gemacht werden?
Statt Militärs zu entsenden, müssten Funktionsträger an der Basis, in den Gemeinden, in die Hilfsaktionen eingebunden werden. Sie kennen am besten die Lage vor Ort, die Menschen in der Nachbarschaft, die Bedürfnisse und die lokalen Gegebenheiten.

Im Umkehrschluss: Welche Folgen hat denn die militärische Variante?
Kurzfristig wurde und wird die notwendige Hilfe für die Bevölkerung aufgehalten. Auch das Bild nach außen wird beeinflusst: Haitianer gelten mehr als Furcht einflößend denn als hilfsbedürftig. Das beeinflusst ohne Zweifel die Hilfsbereitschaft. Vor allem aber fließen viel Energie und Geld in den Unterhalt der massiven Truppenverbände, statt, wie es notwendig wäre, in die Hilfe.

Vor allem in Lateinamerika wird die Truppenentsendung der USA kritisiert. Welche Interessen hat Washington in Haiti?
Die Reaktion steht im Einklang mit den historischen Beziehungen beider Staaten. Die USA haben Haiti in der Vergangenheit wiederholt besetzt – und das könnte natürlich wieder geschehen. Das Hauptinteresse der USA besteht darin, den Einfluss lateinamerikanischer Staaten in Haiti zu begrenzen. Die USA wollen ihren direkten Einfluss behalten, darum geht es.

Sie stehen in ständiger Verbindung mit sozialen und humanitären Organisationen, die in Haiti arbeiten. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz: Wie sollte die US-Regierung künftig vorgehen?
Die USA und andere Staaten sollten mit den Gemeinden an Ort und Stelle, mit ihren Funktionsträgern und lokalen Strukturen arbeiten. Es muss darum gehen, die Leute in Haiti zu befähigen, sich selbst zu helfen. Eine Lehre ist auch, dass Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen ihre Entscheidungen und finanziellen Interessen offen legen sollten. Und schließlich sollte man nach einer bekannten Prämisse vorgehen: Man muss die Bevölkerung Haitis so behandeln wie man selbst in einer solchen Situation behandelt werden möchte.

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