Politisches Störfeuer
Eine Initiative klärt Schüler über Lobby-Arbeit in Berlin auf
Der Blick der gut zwei Dutzend Oberstufenschüler gleitet hinauf an die Spitze des Edelstahl-Aufzugs. Oben, in verglasten Büros, hat unter anderem der Deutsche Zigarettenverband seinen Sitz. Vor der Schülergruppe steht Konstantin Hicke – einer, der Klarheit darüber schaffen will, wie Konzerne und Verbände im Berliner Regierungsviertel versuchen, Gesetze nach ihren Interessen zu beeinflussen. Der 27-jährige Physiker engagiert sich bei »LobbyControl«. Der gemeinnützige Verein lotst unter anderem Schulklassen durch den Lobby-Dschungel der Hauptstadt.
Hicke erklärt den Oberstufenschülern, die auf Klassenfahrt aus Frankfurt am Main angereist sind, wie politische Störfeuer funktionieren: »Um von den Gefahren des Rauchens abzulenken, legt die Tabak-Lobby viele Gegenstudien vor. Darin weist sie etwa nach, dass der Flaum von Wellensittichen eigentlich noch gefährlicher ist als der Qualm von Zigaretten.« Lachen im Foyer. Und dann Stille. Die Schüler denken nach. »Wir können nicht früh genug damit beginnen, den Leuten zu erklären, wer wie und warum unsere Politiker beeinflusst«, sagt Hicke.
Der Anfang 2006 gegründete Verein war zunächst nur Kennern der politischen Szene bekannt. Das änderte sich jedoch im Mai 2009. Damals deckte »LobbyControl« mit eigenen Recherchen auf, dass die Deutsche Bahn für mehr als eine Million Euro PR-Experten engagiert hatte, die unter falschem Namen in Internet-Foren kommentierten und Leserbriefe an Zeitungen schrieben, in denen sich – vermeintlich – Bürger für einen Börsengang des Unternehmens aussprachen. Das war ein Versuch, unter falscher Flagge gesellschaftlichen Druck auf die Verkehrspolitiker auszuüben.
»LobbyControl« nennt sich selbst »Initiative für Transparenz und Demokratie«. Den Schülern erklären Hicke und seine 24-jährige Mitstreiterin Natascha Nassir das Prinzip »Lobbyismus« deshalb auch aus unterschiedlichen Perspektiven, statt auf simple Schwarzmalerei zu setzen. Lobbyismus sei »nicht immer etwas schlechtes«, sagt Nassir den Schülern. Zu den Lobbyisten der Industrie kämen nämlich auch die von Umweltverbänden, dem Steuerzahlerbund und Verbänden von Mietern und Patienten hinzu. Im besten Fall würden Abgeordnete und Mitarbeiter der Ministerien von mehreren Seiten bearbeitet. Nassir sagt aber auch: »Die Industrie hat oft mehr Geld und Personal und damit letztlich mehr Einfluss.« Von einem Ausgleich der Interessen könne deshalb »nicht immer die Rede sein«. Ihr Verein nutzt seine Stadtführungen ganz offen aber auch, um seine Interessen publik zu machen: Nassir und Hicke werben für ein Lobby-Register, in dem sich alle Interessenvertreter eintragen müssten.
Dass die Initiative auf ihren Führungen für die eigene Sache wirbt, geht auch an den Schülern nicht vorbei. Der 17-jährige Oleksandr fällt Nassir etwa ins Wort, als sie gerade über die Beeinflussung von Fernseh-Gästen bei Talkshows plaudert: »Eigentlich seid ihr von ›LobbyControl‹ doch auch nicht anders drauf als die, die ihr kritisiert!«
Nassir fängt den Einwurf wie eine Steilvorlage auf. »Nehmt doch mal eure Klassensprecher«, sagt Nassir. »Die vertreten zwar keinen Zigaretten- oder Brauereiverband und auch keine Umweltschutzorganisation, aber die Wünsche von euch Mitschülern.« Ihr Punkt ist klargeworden: Alle sind eben irgendwie Interessenvertreter. Das wissen spätestens jetzt auch die angereisten Schüler nach ihrem Gang durch das Regierungsviertel.
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