Die Zukunft der europäischen Sicherheitslandschaft bleibt ungewiss
Keine restlose Klarheit über das künftige Vorgehen der NATO
Im noblen Hotel »Bayerischer Hof« versammelten sich einige Hundert Politiker, Publizisten und hohe Offiziere, um Meinungen über die internationale Sicherheitslage auszutauschen. Waren diese Treffen vor Jahren noch reine NATO-Veranstaltungen, von einseitigen kriegerischen Vorgehensweisen geprägt, so sind im Zuge der veränderten Weltsituation andere Akteure hinzugekommen. Führende russische Politiker sind inzwischen regelmäßig zugegen. Diesmal vertrat Außenminister Sergej Lawrow die Moskauer Führung. Stolz registrierten die Veranstalter, dass auch der chinesische Außenminister Yiang Jiechi angereist war, der die Außenpolitik seines Landes überaus selbstbewusst darstellte.
Überraschend erschien überdies der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki, der den Anlass für eine gründliche Debatte über das iranische Nuklearprogramm bot – ein Problem, das die anderen Themen der Konferenz zeitweise zu überlagern drohte.
Wenngleich militärische Akzente nach wie vor ein wichtiger Diskussionsgegenstand waren – in diesem Jahr vor allem Afghanistan, das die US-Vertreter zum wichtigsten Anliegen zu machen versuchten –, so entwickelt sich die Münchener Konferenz immer mehr zu einem Testgebiet für die Ost-West-Beziehungen insgesamt. Zu fragen war: Bleiben diese Beziehungen verhärtet oder lockern sie sich auf? Wächst das Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands, die lange Zeit ignoriert wurden? Tendenzen in dieser Hinsicht auszumachen war besonders wichtig. Einerseits liegt der Vorschlag Dmitri Medwedjews auf dem Tisch, einen neuen verbindlichen Sicherheitsvertrag für Europa abzuschließen, der allen teilnehmenden Staaten gleiche Sicherheit bieten soll. Andererseits wird in der NATO an einem neuen strategischen Konzept gearbeitet, das die Rolle des Paktes für lange Zeit festschreiben soll. Dabei verdient Beachtung, ob die NATO an ihrem Kurs der Osterweiterung festhält, die von Russland als Einkreisung verstanden wird.
Wie sieht eine künftige Raketenabwehr in Europa aus, nachdem die USA ihre ursprünglichen Pläne zur Stationierung solcher Elemente in Polen und Tschechien aufgegeben haben und andere Optionen erwägen? München brachte keine restlose Klarheit über das Vorgehen der NATO-Staaten. Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Regierung Barack Obamas derzeit anderen Prioritäten folgt und den Problemen Europas geringere Aufmerksamkeit schenkt. Symptomatisch dafür ist die Tatsache, dass kein führender Vertreter der Regierung nach München entsandt wurde. Die USA waren durch den Sicherheitsberater des Präsidenten, James L. Jones, vertreten.
Sergej Lawrow unterstrich seinerseits das fortbestehende Interesse der russischen Führung an einer Neubestimmung des europäischen Sicherheitsgefüges. Er hob die Vorteile eines verbindlichen Sicherheitsvertrages für alle Staaten hervor. Er würdigte die Rolle der OSZE und des so genannten Korfu-Prozesses, der in der Organisation als Forum der konzeptionellen Grundsatzdiskussion ins Leben gerufen worden ist. Der russische Außenminister vermerkte jedoch kritisch, dass nicht alle OSZE-Staaten das notwendige Interesse zeigen, eine höhere Stufe der europäischen Sicherheitsstrukturen zu erreichen.
Wer hoffte, dass in München größere Klarheit hinsichtlich der künftigen Stellung der NATO sichtbar werden würde, sieht sich enttäuscht. Gegenstand der Aussprache war vordergründig die Rolle der NATO in Afghanistan. Nach der Londoner Afghanistan-Konferenz eine Woche zuvor und dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Istanbul vor wenigen Tagen konnten Präsident Hamid Karsai und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen aber keine neuen Erkenntnisse vermitteln. Nur eines wurde deutlich: Der positive Ausgang des militärischen Abenteuers am Hindukusch ist für den Pakt essenziell.
Im Übrigen blieben die bisherigen Koordinaten der NATO bestehen. Noch in diesem Jahr soll ein neues strategisches Konzept der Allianz verabschiedet werden. Es soll eine Erweiterung des bisherigen Sicherheitsbegriffs enthalten. Nach wie vor ist die weitere Ostausdehnung der NATO im Gespräch, wenn auch aus taktischen Gründen das Tempo verlangsamt werden soll. Die USA wollen an ihren Plänen festhalten, Patriot-Raketen in Polen, Tschechien und Rumänien zu stationieren. Ein ausdrückliches Eingehen auf den russischen Vorschlag eines neuen gesamteuropäischen Sicherheitsvertrages erfolgt nicht.
Alles in allem: Die Zeichen stehen zwar nicht auf Sturm. Eine spürbare Entlastung für die europäischen Sicherheitsstrukturen ist aber auch nicht in Sicht.
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