Angekommen im Kalten Frieden
Notizen aus dem Münchner Konferenzsaal
Das Teilnehmerverzeichnis der 46. Münchner Sicherheitskonferenz lässt die einen vor Ehrfurcht erstarren, die anderen sich mit Abscheu abwenden. Nicht nur Inhalte, wie immer vorgegeben wird, sondern auch der Wunsch zu sehen und gesehen zu werden, treibt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im »Bayerischen Hof« in München zusammen. So manche und so mancher, deren oder dessen Name mit Kriegen und Umstürzen aufs Engste verbunden ist, hält hier in München Hof. Altmeister Henry Kissinger, der Architekt des CIA-Putsches in Chile, Madeleine Albright, Mitverantwortliche für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, General Stanley McChrystal, ISAF-Commander in Afghanistan, ebenso wie Veteranen der Irakkriege. Andere, Nachdenklichere fallen weniger auf, gehören offensichtlich selten zu den Stars. Und doch sind sie da: Sergej Lawrow, russischer Außenminister, regt ein gemeinsames Nachdenken über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa an. Die Reaktion darauf ist freundlich und mitleidig desinteressiert. Lady Catherine Ashton, der neue Euro-Star, bescheidet ihn freundlich: Wir haben doch schon alles.
Aus dem Saal steigt eine Wolke versammelten alten Denkens. Der Wunsch, stabile Rezepte zur Behebung der großen Krisen unserer Zeit zu haben, macht unkreativ. Immer wieder wird auf die NATO verwiesen. Der Krieg gegen den Terror soll fortgeführt werden und der Einsatz neuer Waffensysteme wird nicht ausgeschlossen. Die Vorstellung des US-Präsidenten Barack Obama für eine Welt ohne Atomwaffen findet Sympathie und Zuspruch, über Zeiträume und Wege dorthin wird nachgedacht. Das ist gut. Selbst hochrangige Militärs werden für einen Moment zu Pazifisten. Aber nur für einen Moment. Dann spricht man über taktische Atomwaffen, über Mini-Nukes und dass gegenüber Iran alle Optionen, ausdrücklich auch genannt die militärische, auf dem Tisch bleiben müssen. Die Forderung aus Saudi-Arabien, der Türkei und Ägypten nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten wird nicht ernsthaft erörtert. Nicht ernsthaft erörtert wird auch der Vorschlag des iranischen Außenministers, die Urananreicherung im Ausland, genauer gesagt in Russland und Frankreich, vornehmen zu lassen. Es mag sein, dass der Vorschlag und seine Präsentation unzureichend sind. Aber dass man eine solche Chance nicht näher prüft, ist völlig unverständlich. Es sei denn, dass man gar keine genaue Prüfung wollte und das Urteil schon vorher feststand.
Wenn US-Senator Joseph Lieberman Iran als Schurkenstaat brandmarkt und der stellvertretende israelische Außenminister Daniel Ayalon die arabischen Diplomaten von oben herab abkanzelt, kommt Stimmung in dem ansonsten so kultivierten Saal auf. Immerhin, Fortschritte sind erreicht worden: Statt Kaltem Krieg betreibt man Kalten Frieden.
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