Eine Operette des Bösen

Im Wettbewerb: »Jud Süß – Film ohne Gewissen« von Oskar Roehler. Eine Peinlichkeit

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Das historische Filmplakat
Das historische Filmplakat

Man geht in diesen Film bereits mit einer gewissen sportlichen Grundhaltung. Wie wird denn Moritz Bleibtreu als Goebbels sein, besser als Ulrich Matthes im »Untergang«? Auf der Treppe des Berlinalepalastes treffe ich einen Kritiker-Kollegen, der sagt, er möchte nun aber endlich auch einmal Corinna Harfouch in einer Hosenrolle als Goebbels sehen.

Die Geschichte der Entstehung eines der übelsten antisemitischen Hetzfilme, Veit Harlans »Jud Süß«, nicht mehr als ein Anlass für faule Witze? Tatsächlich: Was wir dann zu sehen bekommen, ist nicht mehr. Oskar Roehler liefert die befürchtete Peinlichkeit, eine Operette des Bösen, bei der man sich fragt, warum es niemanden gab, der das verhinderte.

Dies hier ist die unterste Film-Schublade, knapp über dem Comedy-Niveau der Privatsender. Aber nur sehr knapp. Erste Szene, Auftritt Moritz Bleibtreu als Goebbels mit Gefolge im Theater, wo er Ferdinand Marian in der Rolle des Jago sieht. Bleibtreu-Goebbels lacht immerzu laut und hat noch dazu die Angewohnheit, allen jovial in die Seite zu boxen, immer schräg von oben. Ja, Bleibtreu bleibt auch als Goebbels ganz er selbst – und irgendwie ist das auch wieder beruhigend.

Roehler in seiner unbeholfenen Regie hangelt sich im Fünfminutentakt von einem außerehelichen Geschlechtsverkehr und einer Champagnerparty zur nächsten. Ab und zu gibt Goebbels den bösen Mann und dann treten auch einige richtig fiese SS-Leute auf, Karikaturen, wie man sie lange nicht sah. Goebbels war da eindeutig klüger als Roehler. Er wollte den Jud Süß Oppenheimer eben nicht als Karikatur gespielt sehen, darum auch diese große Wirkung des Films.

Schade um Tobias Moretti, der ein guter Schauspieler ist. In einem anderen Film hätte er Ferdinand Marian, dem Hauptdarsteller aus »Jud Süß«, vielleicht ein Gesicht geben können und nicht nur die Schminke darin. Und die ist sehr dick aufgetragen. Warum muss der österreichische Schauspieler Marian, der im wirklichen Leben mit einer Katholikin verheiratet war, hier mit einer Jüdin (wie immer routiniert in der Selbstdarstellung: Martina Gedeck) verheiratet sein? Warum muss er einen Freund haben, der ein jüdischer Schauspieler ist, Berufsverbot hat, und den er bei sich zu Hause versteckt? Schließlich kommt er ins KZ, aber trotzdem begegnen sie sich immer wieder. Heribert Sasse spielt als einziger in diesem Film kompromisslos, geradezu wütend einen Charakter statt einer Charakterlarve.

Roehler mixt beliebig Zutaten, von denen er sich eine Wirkung auf den Zuschauer verspricht. Eine genaue Charakterstudie hätte sein Ziel sein müssen, statt dessen inszeniert er pure Sentimentalität. Und das ist nicht nur schwer erträglich, mehr noch, das ist ein Ausweis mangelnder Intelligenz.

Worum hätte es gehen sollen, wenn man sich dem Thema »Jud Süß« zuwendet? Der Schock, den wohl jeder erlebt, der sich mit dieser Thematik einmal auseinandersetzt: Wenn nur die Unfähigen und Mittelmäßigen sich den Despoten andienen würden, hätte unser Weltbild weniger Risse. Aber auch die Hochbegabten, die bereits Erfolgreichen, die sich mit den Herrschenden niemals einlassen müssten, auch sie dienen sich an. István Szabó hat in »Mephisto« Gustaf Gründgens und Hermann Göring, Klaus Maria Brandauer und Rolf Hoppe aufeinandertreffen lassen, ein immer noch furioses Kammerspiel um Kunst und Macht, menschliche Niedertracht und bewahrte Würde. Ein so unendlich kompliziertes, so vielschichtiges Thema, an das mit besonnener Zurückhaltung heranzugehen geboten wäre. Aber Roehler stürmt aufreizend unbedarft heran und wirft mit Klischees nur so um sich.

Wenn ein Spielfilm über die Entstehung eines der perfidesten Propagandafilme der Nazizeit einen Sinn haben soll, dann wohl den, zu fragen, warum die Propaganda auch noch Kunst sein wollte, warum sie sich der wichtigsten Schauspieler des Landes bediente. Doch Roehler weicht aus in lauter Nebensächlichkeiten, schwelgt in filmischer Opulenz, die hier ganz fehl am Platze ist. Warum entzogen sich so große Schauspieler wie Heinrich George und Werner Krauß diesem antisemitischen Machwerk nicht? Gustaf Gründgens, immerhin auch er ein Opportunist, tat es bei dieser Gelegenheit mit Entschiedenheit und eine ganze Reihe weiterer Wunschbesetzungen Goebbels ebenfalls. Man konnte mit ein wenig Charakter also doch absagen. Roehler aber stellt die am wenigsten interessante Frage in den Mittelpunkt, die nach dem mittelmäßigen Schauspieler Ferdinand Marian. Laut Goebbels' Tagebüchern musste auch auf ihn erst noch starker Druck ausgeübt werden, bis er die Rolle des Jud Süß Oppenheimer dann annahm.

Was für ein Kammerspiel des Dämonischen wird hier verschenkt! Was bringt jemanden dazu, seine Seele dem Teufel zu verkaufen? Werner Krauß, weltberühmt seit 1920 durch seine Rolle in »Das Cabinet des Dr. Caligari«, Schauspieler unter Reinhardt am Deutschen Theater, sprach kurz vor seinem Tod 1959 ausgerechnet jene Szene auf Schallplatte, in der Faust den Teufel beschwört. In Veit Harlans »Jud Süß« spielt er alle sechs auftretenden Juden – außer Jud Süß – und erhebt das Hassbild der Nazipropaganda zur Kunst. Er war in seiner Rolle so überzeugend, dass die KZ-Mörder sich nach dem Film oft genug als Patrioten vorkamen. 1954 erhielt Werner Krauß übrigens das Bundesverdienstkreuz und bei seinem Tod ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Das sind die wirklich dunklen Seelenflecken, die schreienden Widersprüche in einem Künstlerleben.

Die Frage bleibt unbeantwortet: Wie konnte Ferdinand Marian zum Gefangenen seiner Rolle, zum leibhaftigen Kommentar der Nürnberger Rassegesetze, zum Prolog des Völkermords werden?

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