Klischees vom Fernseh-»Tatort« taugen nicht

Berliner Mordkommissionen stellen ihre Arbeit vor / Achtes Ermittlerteam soll Entlastung bringen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Ralf Heilmann ND-
Ralf Heilmann ND-

Mit den romantischen Vorstellungen, die Fernseh-Krimis wie sie »Tatort« oder »Derrick« verkaufen, hat der Alltag der Berliner Polizisten bei der Mordkommissionen nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Wer als junger Polizist bei der Aufklärung von Delikten mit Todesfolge, wie es im Polizeijargon heißt, mitarbeiten möchte, muss einiges an Einsatzbereitschaft mitbringen: »300 Überstunden macht jeder der rund 70 Mitarbeiter im Jahr«, berichtet Ralf Heilmann. Der 53-jährige Routinier leitet seit Anfang Februar das Morddezernat. Viel Zeit für Familie, Beziehung oder Hobbys bleibt da nicht – eigentlich gar keine. Damit der Berg von 20 000 Überstunden pro Jahr, den die Mordermittler anhäufen, nicht weiter steigt, soll jetzt die einst aufgelöste achte Mordkommission mit Mitarbeitern aus anderen Bereichen des LKA wieder neu aufgebaut werden. Das wird ein wenig Entlastung bringen, hofft Heilmann.

Dass die Ermittler ein so hohes Arbeitspensum zu bewältigen haben, hängt allerdings nicht nur mit Kürzungen der Vergangenheit, sondern auch viel mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten zusammen. »Unsere erste Frage lautet: Wie ist das Umfeld des Opfers?«, erzählt Bernhard Jaß, der die sechste Mordkommission in der Hauptstadt leitet. Früher ging es dann darum, einen Festnetzanschluss zu überprüfen oder sich einfach den Terminkalender eines Opfers zu schnappen. Heutzutage dagegen müssen die Polizisten oftmals mehrere Handys checken und das Internet durchforsten, »um auf Personen zu kommen, die eventuell ein Motiv haben könnten«, wie Jaß es schildert.

Generell bieten sich den Ermittlern aber analog auch viele neue Möglichkeiten, die der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren ermöglichte. Überdies ist die Aufklärungsquote der Mordkommissionen immens hoch: 95 Prozent der Tötungsdelikte und Mordfälle werden aufgeklärt. Doch auch Massengentest bedeuten zunächst einmal mehr Arbeit. Insgesamt zwischen 80 bis 118 Fälle mussten in den vergangenen Jahren pro anno bearbeitet werden.

Wenn einige Zeit ins Land gegangen ist, heißt das jedoch nicht automatisch, dass die Kommissare aufgeben. Am Fall der seit September 2006 vermissten Schülerin Georgine Krüger etwa, die damals 14 war, sind die Beamten bis heute dran. Auch den Tipps aus der Bevölkerung in Bezug auf die im vergangenen Jahr in Spandau ermordeten Joggerin wird weiter nachgegangen. Hunderte Hinweise müssen allein in diesen beiden Fällen noch abgearbeitet werden. »Das ist noch lange nicht abgeschlossen«, sagt Bernhard Jaß. Schwerer werden die Nachforschungen den Polizisten indes auch durch die Vorgehensweise der Mörder gemacht.

»Die Täter sind raffinierter geworden«, meint Thomas Scherhant beobachtet zu haben. Der Leiter der siebten Mordkommission ist seit 27 Jahren bei Mordermittlungen dabei. Beispielsweise Geständnisse, erzählt er aus seiner persönlichen Erfahrung, seien in der heutigen Zeit nicht mehr so einfach zu erzielen. Zudem würden die Täter versuchen, mehr Spuren zu verwischen. Auch im Vorfeld der Gewalttat, sofern sie nicht spontan erfolgt, würden sich die Täter mehr Gedanken machen, hat Scherhant beobachtet. Bei solchen Beispielen wirke sich wohl die Schulung durch die Fernsehkrimis negativ aus.

Indessen wenig geändert hat sich in der Motivation der Täter: »Geld oder Liebe«, sagt Bernhard Jaß, das sei seit Jahren immer dasselbe.

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