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- Kommunistischer Jugendverband
Olga Benario in Berlin: Notwendige gemeinsame Front
Im Vorfeld des 9. November organisieren Antifaschist*innen eine Lesung über die Kommunistin, die im NS ermordet wurde
»Wir wollen uns heute mit Olga Benario beschäftigen, weil sie auch in Neukölln aktiv war, und weil sie Antifaschistin war«, sagt André von der Gruppe Autonome Neuköllner Antifa. In der unter Linken beliebten Kneipe »B-Lage« haben sich am Mittwochabend um die 40 Menschen zusammengefunden, um einer Lesung zuzuhören, die im Vorfeld der antifaschistischen Gedenkkundgebung und Demonstration am 9. November stattfindet. Es geht um die Schrift »Berliner Kommunistische Jugend«, verfasst 1929 von Benario selbst, als sie 21 Jahre alt war und in Moskau lebte. Darin erzählt sie an ein sowjetisches Publikum gerichtet von der Organisierung und den Aktionen des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland (KJVD) im damaligen Bezirk Neukölln, in dem sie selbst aktiv war, bevor sie nach der Befreiung Otto Brauns aus dem Moabiter Gefängnis nach Moskau fliehen musste.
Zur Vorstellung und Diskussion der Schrift sind Jörg Sundermeier und Kristine Listau vom Vebrecherverlag in der »B-Lage«. Listau ist die Übersetzerin des Texts, der ihrer Aussage nach zwar von Benario auf Deutsch geschrieben sein musste, aber dann ins Russische übersetzt wurde. Erhalten ist nur noch der russische Text, der in diesem Jahr erstmals auf Deutsch im Verbrecherverlag erschienen ist. »Er ist nicht nur ein Zeugnis davon, wie sich die Kommunistische Jugend in Berlin organisiert hat, sondern auch erzählerisch wertvoll«, sagt Listau.
Neukölln beschreibt die junge Kommunistin Benario als von Arbeiter*innen dominiert, viele davon kommunistisch. »Nicht von ungefähr wird Neukölln ›Klein-Moskau‹ genannt«, schreibt sie. Benario erzählt vom Unterbezirksbüro der Kommunistischen Partei in Neukölln, das sich laut Sundermeier in der heutigen Warthestraße befindet, von den Planungen für die nächste Kampagne, von einer nächtlichen Plakatieraktion, bei der die Jugendlichen am Ende zwar erfolgreich vor der Polizei davonkommen, ein Kleistereimer aber verloren geht. »Offensichtlich hat man ihn auf der Grundlage irgendeines Gesetzesparagrafen zum Schutze der Republik konfisziert«, kommentiert Benario. »Plakatieren, plenieren, Demonstrationen organisieren oder Gruppenfahrten aufs Land – eigentlich ist das auch heute noch die aktivistische Arbeit«, sagt Übersetzerin Listau.
Auch in der heutigen antifaschistischen Arbeit gibt es Methoden, die schon die jungen Kommunist*innen angewandt haben. So haben Benario und ihre Genoss*innen eine Organisation betrieben, von Neukölln bis nach Niederschöneweide. »Ein Faschistennest« sei Niederschöneweide. »Dort ist die KJ-Organisation noch schlecht ausgeprägt. Wir wollen helfen«, so Benario. Das erinnert an antifaschistische Demonstrationen im heutigen Berlin, die nicht in den Ortsteilen stattfinden, in denen verhältnismäßig viele Menschen linke Haltungen vertreten, sondern etwa in Marzahn oder anderen Randbezirken, in denen rechte Haltungen deutlich stärker ausgeprägt sind.
Benario berichtet auch von einem faschistischen Aufmarsch in Berlin. Welchen historischen Anlass genau sie beschreibt, hat man Sundermeier zufolge nicht eindeutig feststellen können. Drei Demonstrationen kämen in Frage, bei denen die Faschisten in der Hauptstadt, in der sie nur wenig Zulauf hatten, hätten zeigen wollen, dass das »richtige Deutschland« außerhalb der Großstädte rechts eingestellt sei.
Die kommunistischen Organisationen hätten in Berlin mobilisiert, um sich den Faschisten in den Weg zu stellen, schildert Benario. »Tod dem Faschismus. Berlin bleibt rot«, sei eine der Losungen der Kommunistischen Partei gewesen. Über die Sozialdemokraten schimpft Benario hingegen: »Aber was sagen die Sozialdemokraten dazu? Sie rühmen sich doch, dass sie den Faschismus bekämpfen! Sie fordern ihre Mitglieder auf, am Tag des Faschistenaufmarsches Berlin zu verlassen und bewaffnet mit Stullenpaketen an den Stadtrand auf die grüne Wiese zu fahren. Zusammenstöße sollen verhindert werden, indem man die Straßen den Faschisten überlässt!«
»Die Sozialfaschismus-These war damals die Parteilinie«, sagt Sundermeier. Die junge Agitprop-Kaderkraft Benario habe dieser natürlich auch in der Schrift über die Berliner Organisation der Kommunistischen Jugend an die sowjetischen Genoss*innen entsprechen müssen. »Tatsächlich hat sie aber nur an einer Stelle von ›Sozialfaschismus‹ gesprochen.« Aktuelle Forschung über Benario lege nahe, dass sie selbst eigentlich eher eine Vertreterin der Ansicht war, es brauche eine gemeinsame Front gegen die Faschisten, sagt Listau. Auch in Zusammenhang mit dem Faschistenaufmarch schreibt Benario, dass sie und ihre Genoss*innen im Vorfeld auf die Treffen der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ), ein Jugendverband der Sozialdemokraten, gegangen seien: »Auf allen SAJ-Versammlungen sprechen wir den Faschistenaufmarsch und eine notwendige gemeinsame Front an, um diesen zu verhindern.«
Eine gemeinsame antifaschistische Front vermissen Linke, gerade in Berlin, immer wieder. André von der Autonomen Neuköllner Antifa fragt, ob die zurzeit in vielen Konflikten stark zerstrittene Linke, die oft den Anschein mache, als würde sie sich hauptsächlich selbst bekämpfen anstatt den Faschismus, Parallelen habe zur Sozialfaschismus-These, gemäß derer Sozialdemokraten ebenso als Feinde bekämpft werden müssten wie Faschisten. Sundermeier hingegen sieht eine ähnliche Tendenz wie die Sozialfaschismus-These eher bei denjenigen aus dem linken Spektrum und sehr deutlich bei den Anhänger*innen des BSW, die sagen, dass die größte Gefahr derzeit von den Grünen ausgehe.
Was allerdings in der Linken dieser Tage durchaus fehle, sei die Jugendarbeit allgemein. »Die Faschisten machen gerade sehr viel Jugendarbeit«, sagt Sundermeier. Die linken Gruppen, Parteien und Gewerkschaften hingegen hätten das aufgegeben. Über die Kommunistische Jugend gebe es derweil kaum Zeitzeug*innenberichte, sagt Sundermeier. Auch deshalb ist die Schrift von Benario so besonders. Der Fund gehe auf das Buch »Olga Benario Prestes. Eine biografischen Annäherung« von Benarios Tochter Anita Leocádia Prestes hervor, das ebenfalls im Verbrecherverlag erschienen ist. Von Mitarbeiter*innen der Galerie Olga Benario seien sie darauf hingewiesen worden, dass es die Schrift über die Kommunistische Jugend in russischer Sprache gebe, sagt Listau. Daraufhin habe sie entsprechende Scans ausfindig machen können und übersetzt.
Ein Anlass für Antifaschist*innen, gemeinsam auf die Straße zu gehen, ist der 9. November, der 86. Jahrestag der nationalsozialistischen Novemberpogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Traditionell findet an diesem Tag in Berlin eine Gedenkkundgebung und antifaschistische Demonstration statt. »Wir starten um 17 Uhr am Mahnmal an der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße in Moabit«, sagt André zu »nd«. Das Ziel der Demonstration werde das Deportationsmahnmal auf der Pulitzbrücke sein.
Im Vorfeld des Gedenktags finden weitere Veranstaltungen des Bündnisses statt, das Kundgebung und Demonstration organisiert. Zum Beispiel eine Lesung des Buches »Esthers Spuren« mit der Autorin Benet Lehmann und Karoline Georg von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) über die Shoa-Überlebende Esther Bejarano am 6. November um 19 Uhr im Kino der Regenbogenfabrik.
Olga Benario: Berliner Kommunistische Jugend. Verbrecherverlag, 128 Seiten, Hardcover, 18 €.
Anita Leocádia Prestes: Olga Benario Prestes. Eine biografische Annäherung. Verbrecherverlag, 114 Seiten, Broschur, 16 €.
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