Es geht auch ohne Vierfachen
Eiskunstlauf: Lysacek besiegt ohne Vierfachsprung Pljuschtschenko
Der erste ernsthafte Streit ist da. Und, wie sollte es anders sein, es ist eine Angelegenheit zwischen Russland und den USA; natürlich, möchte man sagen, geht es um Eiskunstlauf: ums Wertungssystem, das es seit fünf Jahren gibt.
Entzündet hat sich der schwelende Konflikt nach dem Finale der Männer, in dem der US-Amerikaner Evan Lysacek knapp den Titelverteidiger Jewgeni Pljuschtschenko entthronte, und das, obwohl er im Gegensatz zum Russen keinen einzigen Vierfachsprung aufs Eis zauberte. »Dieses Wertungssystem muss geändert werden«, sagte Pljuschtschenko nach dem Wettkampf. »Vierfach ist vierfach. Das ist echt schwer. Meine Meinung ist, dass niemand Olympiasieger werden darf, der keinen Vierfachsprung drauf hat. Zur Zeit ist das nur tanzen.«
Auch sein Trainer Alexej Mischin war wütend darüber, dass sein Athlet nicht mehr Punkte für die technischen Elemente bekam als Lysacek. »Vor zwanzig Jahren hätten wir jedem, der vierfach gesprungen wäre, sofort den Olympiasieg gegeben. Und jetzt braucht man den nicht mehr? Das olympische Motto heißt doch: höher, schneller, weiter. Die Vierfachsprünge sind die Zukunft des Eiskunstlaufs. Das hier ist ein Rückschritt«, regte sich Mischin auf, ohne darauf einzugehen, dass Pljuschtschenkos Sprünge – dreifach wie vierfach – längst nicht so sauber waren wie gewohnt, auch wenn der Russe sie alle stand.
Lysacek indes wollte sich seinen Sieg nicht schlecht reden lassen. »Ich habe so viel harte Arbeit in jedes kleine Detail dieser 4:40 Minuten gesteckt. Das war viel mehr Arbeit, als man je zum Erlernen eines Vierfachsprungs bräuchte«, verteidigte der 24-Jährige die Bewertung der Juroren. »Wenn nur die Sprünge zählen, dann soll die Musik ausgeschaltet werden und jeder zehn Sekunden bekommen, seinen besten Sprung zu zeigen.«
Beide Kürprogramme steckten voller Sprünge und voller Theatralik. Der Russe und der Amerikaner versuchten sich in Showeinlagen, mitgerissen jedoch zeigten sich die Zuschauer nur bei Lysacek. Pljuschtschenko versuchte, durch Hüftkreisen und Handküsse in Richtung Jury von seinen Schwächen in den Schrittkombinationen und der Gesamtchoreografie abzulenken, bei Lysacek waren diese Elemente Teile eines Gesamtwerks.
Das Eiskunstlaufen versucht schon seit Jahrzehnten, den Kompromiss zwischen Kunst und Sport zu finden. Nie gelingt dies zur Zufriedenheit aller Teilnehmer. »Hier sind wir auf dem amerikanischen Kontinent. Da ist doch klar, worauf mehr geachtet wird«, sagte Pljuschtschenko bewusst provokativ. »In vier Jahren sind wir in Sotschi auf unserem Kontinent. Dann wird sicher anders bewertet.« Ob Pljuschtschenko dann noch läuft, ist nicht sicher. Schließlich hatte er sich nach seinem Olympiasieg vor vier Jahren in Turin schon einmal vom Sport zurückgezogen und erst in dieser Saison ein starkes Comeback gefeiert, das mit Olympiasilber belohnt wurde. Gerüchten über einen erneuten Rücktritt widersprach der Russe zunächst.
Das verpasste Gold von Pljuschtschenko und die Niederlage der hoch gehandelten Eishockeymannschaft gegen die Slowakei passten als Abschluss der ersten Olympiawoche zum mageren Abschneiden der russischen Athleten in Vancouver und Whistler. Speziell im Eiskunstlauf ist die Misere offensichtlich. Erstmals seit 1992 gewann kein Russe die Männerkonkurrenz, und erstmals seit 1960 könnte es gar keine Olympiasieger in diesem Sport aus der Sowjetunion oder aus Russland geben. Kein Wunder, dass Witali Smirnow, das russische Urgestein im IOC, eine sehr ernste Miene aufsetzte, als er am Donnerstagabend die Medaillen überreichte. Er hatte sich einen anderen Sieger gewünscht.
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