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Warum zeigten Sie Westerwelle an?
Gunther Clemens über sein gestörtes Verhältnis zum FDP-Chef
ND: Aufgrund Ihrer Anzeige prüft die Staatsanwaltschaft Aurich derzeit, ob sie Ermittlungen gegen den Bundestagsabgeordneten Guido Westerwelle aufnehmen wird. Warum haben Sie den FDP-Vorsitzenden angezeigt? Gunther Clemens: Auslöser waren seine Äußerungen in Bezug auf Hartz IV-Empfänger und deren »spätrömische Dekadenz«. Zwischen den Zeilen werden wir Hartz-IV-Betroffene von Westerwelle zu Schmarotzern erklärt. Da fühle ich mich persönlich beleidigt, denn ich liege nicht auf der faulen Haut, wie Herr Westerwelle meint, sondern absolviere ein Praktikum. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass ich hier in ein Beschäftigungsverhältnis kommen werde. Ich engagiere mich in der Schulpolitik und bin Vorsitzender des Schulfördervereins sowie des Kreiselternrates. Ich bin kein »spätrömischer« Schmarotzer, sondern aus gesundheitlichen Gründen berufsunfähig und deshalb auf Hartz-IV angewiesen. Durch Westerwelles Äußerungen fühle ich mich an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten Ihrer Anzeige? Die Anzeige als solche steht mir als Bürger zu. Ich kann das machen, wenn ich mich beleidigt fühle. Ob es nun wirklich zu einer Anklage kommt oder nicht, ist eigentlich irrelevant. Vor allem wenn ich sehe, was meine Anzeige jetzt schon bewirkt hat. Mir ging es eigentlich nie darum, Herrn Westerwelle wirklich zu verklagen. Ich wollte einfach ein Zeichen setzen, damit die ganze Debatte um Hartz-IV eine neue Richtung bekommt.
In welche Richtung sollte sich die Diskussion denn bewegen? Die Sache als solche trägt grundsätzlich den falschen Namen. Wir müssten nicht hier über Hartz IV als solches debattieren, sondern wir sollten eigentlich vielmehr über die Mindestlöhne reden. Dann würde sich das Thema Hartz-IV von alleine erledigen.
Ihre Anzeige sorgt derzeit für einen gewaltigen Medienrummel. Auch Guido Westerwelle müsste mittlerweile von Ihnen gehört haben. Hat sich der FDP-Chef schon gemeldet ?Nein, bislang noch nicht. Ich gehe davon aus, dass ich kein Feedback bekommen werde. Und so wie sich Westerwelle am Aschermittwoch wieder geäußert hat, glaube ich, dass er das hundertprozentig ernst meint, mit seinen Tiraden gegen Arbeitslose. Ich bin gestern zum Beispiel gefragt worden, ob ich irgendein persönliches Gespräch mit ihm befürworte. Da habe ich gesagt, natürlich würde ich das auf jeden Fall sehr begrüßen, wenn er mal einen Tag hier mit mir verbringt und sieht, was ich mache. So könnte man sich über die ganze Problematik unterhalten. Wir könnten über jene alltäglichen Sorgen und Probleme der Hartz-IV-Betroffenen reden, die in den großen Debatten gar nicht ausgebreitet werden können.
Wie reagiert die Bevölkerung auf Ihre Aktion? Erfahren Sie viel Zustimmung? Ich bin überrascht, wie wahnsinnig groß das Feedback auf meine Anzeige ist. So haben zum Beispiel Betroffene angerufen, die Westerwelle nun ebenfalls anzeigen wollen. Es gibt viele, die sich jetzt auch irgendwo zu Wort melden und die sagen: »Endlich mal einer, der den Mut hat, so etwas zu machen«. Es hat auch einer angerufen, der ist Frührentner und nicht persönlich betroffen, aber er will einen Verein gründen für Hartz-IV-Empfänger, die einen Rechtsbeistand brauchen für Behördengänge. Und der hat mich gefragt, ob wir vielleicht was zusammen machen wollen. Also die Feedbacks sind mannigfaltig. Es ist schon toll.
Fragen: Fabian Lambeck
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