Die kurze Auferstehung des roten Robin Hood
Im vogtländischen Auerbach müht man sich um das Andenken an den Revolutionär Max Hoelz
Gäbe es ein Museum für Max Hoelz, müsste selbst auf kuriose Exponate nicht verzichtet werden. Ein Besteck aus Edelstahl etwa, die geschwungene Klinge mit einem Schriftzug in kyrillischen Buchstaben versehen: »Für Max Gelz – von den Arbeitern aus Slatousk«, ist zu lesen. Auch eine Tabakdose aus Hoelz' Besitz gibt es, zwar rostig und verbeult, aber noch immer mit Machorka gefüllt. Sie liegt neben einer Taschenuhr und einem Füllfederhalter – vielleicht demselben, mit dem Hoelz seinen schwungvollen Namenszug in eine Ausgabe von Marx' Kapital schrieb, die Peter Giersich aufklappt. »Er hat die Theoretiker dann doch noch gelesen«, sagt er: »Im Gefängnis hat er sie alle studiert.«
Giersich wiederum hat das Leben von Max Hoelz erforscht – in großem Detail. Als Student wurde er im Heimatmuseum von Auerbach im Vogtland auf den Mann aufmerksam, »von dem sie hier alle schwärmten«. Jetzt schwärmt er selbst – aber nicht nur das. Er hat Anekdoten, Fahndungsaufrufe und Fotos gesammelt, Briefe ausgegraben, Kampfgefährten ausgefragt. Die kleine Wohnung quillt von den Ergebnissen seiner Sammelleidenschaft schier über. Seine Ehefrau stöhne gelegentlich, gesteht Giersich: »Wenn sie einen Schrank öffnet, schaut ihr Hoelz entgegen.«
Wäre Hoelz der Filmstar gewesen, wie der er auf einem Foto aus jungen Jahren aussieht – man hätte ihm das Museum längst eingerichtet. Er war freilich zwar das, was man heute einen Star nennen würde; sein Feld aber war die Politik. Zudem entzieht er sich ungeteilter Verehrung. Das belegen die vielen Etiketten, die ihm angeheftet werden: Hoelz sei der »Robin Hood der Arbeiter« gewesen oder »Räuberhauptmann mit kommunistischen Neigungen«, heißt es. Andere sprechen vom Mordbrenner und »Zündelmax«, der die Villen von Unternehmern ansteckte und in Aufrufen auch schon einmal drohte: »Wir schlachten die Bourgeoisie ab!« Als Rebell und Revolutionär, sagt auch Peter Giersich, »passte er in keine Schublade«.
Dass Hoelz sich nicht ins offizielle Geschichtsbild fügt, gilt indes nicht nur in Zeiten, da Kommunisten ohnehin kein Denkmal mehr errichtet bekommen. Es galt auch für die Jahre, als deren Wirken beim Blick auf die Historie im Mittelpunkt stand. Fast 40 Jahre lang wurde der 1889 bei Riesa geborene und mit 23 Jahren ins Vogtland gezogene Kommunist in der DDR nicht offiziell gewürdigt. Hoelz, der nicht ganz zutreffend häufig als Anarchist gilt, sei zwar »keine Unperson« gewesen, betont der Leipziger Historiker Werner Bramke, aber »man hat sich mit ihm schwer getan« – und auf Ehrungen verzichtet.
Die Gründe für die Verehrung, die Hoelz vor allem im Vogtland zuteil wird, und die für seine offizielle Nichtbeachtung liegen nahe beieinander. Der offenbar charismatische Landvermesser und Filmerklärer, der Ende 1918 den Arbeiter- und Soldatenrat in Falkenstein begründete und bald auch einen Arbeitslosenrat ins Leben rief, wusste zwar zunächst kaum etwas über kommunistische Theorie, wurde aber zum »Partisan der deutschen Revolution«, wie der KPD-Funktionär Fritz Heckert später formulierte. Hoelz selbst sah sich als eine Art »Kesselheizer der Revolution«. Beim Kapp-Putsch im März 1920 hielt eine von ihm begründete Rote Garde nicht nur das Vogtland unter Kontrolle; sie ließ auch Unternehmer bluten (nur finanziell) und verteilte die Erträge an die Armen. Als die KPD-Führung zum Rückzug blies, widersetzte sich Hoelz freilich und flog wegen Disziplinlosigkeit aus der Partei. Das sei, sagt Bramke, eines der Probleme, die man in der DDR mit dem Mann hatte, der später in die KPD zurückkehren durfte und bei den März-Unruhen 1921 im Mansfeld erneut bewaffnete Arbeiter führte – in der vergeblichen Hoffnung, eine Revolution entfachen zu können. Der zweite Grund waren die Umstände seines Todes im September 1933 in der Sowjetunion, wohin er emigrierte, nachdem er bis 1928 im Gefängnis gesessen hatte. Offiziell war Hoelz im Fluss Oka ertrunken; es gab aber stets Vermutungen, er sei den Stalinschen Säuberungen zum Opfer gefallen. »An solcherlei Biografien traute man sich nicht recht heran«, sagt Bramke, der heute eine Ermordung für sicher hält.
Offizielle Ehren wurden Hoelz erst spät zuteil – zu spät. Nachdem der 1974 aufgeführte Defa-Film »Wolz – Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten« in der Regie von Günter Reisch bereits Elemente seiner Biografie aufgegriffen hatte, begann sich in den 80er Jahren auch die Wissenschaft für ihn zu interessieren, allen voran der später in Ungnade gefallene Leipziger Lehrerstudent Wolf Donnerhack. Es erschienen Hoelz' Autobiografie und eine Biografie. Aus Anlass des 100. Geburtstags im Oktober 1989 wurde er schließlich mit Zustimmung des Sekretariats des SED-Politbüros in die Ahnenreihe aufgenommen: Zunächst gab es ein wissenschaftliches Kolloquium, danach wurden Straßen und eine Schule nach ihm benannt – und am Geburtstag eine Büste in Falkenstein eingeweiht. Das war, sagt Peter Giersich, damals Sekretär des eigens gebildeten Max-Hoelz-Komitees, »eine große Sache«.
Lange währte die Freude nicht. Während in Falkenstein noch das Denkmal enthüllt wurde, fand wenige Kilometer weiter in Plauen die erste der Großdemonstrationen statt, die binnen kurzem die DDR zu Fall brachten. Kommunistische Arbeiterführer, und seien sie noch so unorthodox aufgetreten, standen nun nicht mehr hoch im Kurs. Nach anonymen Drohungen, das Denkmal zu zerstören, ließ der Falkensteiner CDU-Bürgermeister Arndt Rauchalles die Büste Anfang Februar 1990 entfernen – um »eine weitere Radikalisierung der Situation in der Stadt zu vermeiden«, wie er damals im ND-Interview erklärte. Hoelz' nagelneue Büste landete auf dem Speicher.
Dort liegt sie bis heute – mit einer kurzen Pause. Ein 2008 im 75. Todesjahr von Hoelz gegründeter Freundeskreis hat nicht nur dafür gesorgt, dass dessen Grab in Nishni Nowgorod wieder gepflegt und demnächst sogar mit einer Plakette versehen wird, die sein Bild zeigt. Der 17 Mitglieder zählende Verein, den Giersich leitet, stellte 2009 anlässlich des 120. Geburtstages auch eine Ausstellung zusammen, die an sechs Sonntagen im ehrenamtlich betriebenen Museum von Falkenstein zu sehen war und künftig auch in Pirna, Chemnitz und Berlin gezeigt werden soll. Für die Schau wurde auch die Büste aus dem Archiv geholt und mit vielen anderen Exponaten einer durchaus interessierten Öffentlichkeit gezeigt.
Der Zuspruch belegt, dass Hoelz in seiner vogtländischen Heimat, aber auch bei Verfechtern sozialer Gerechtigkeit darüber hinaus populär bleibt – selbst wenn er es in der Traditionspflege der heutigen Linken im Gegensatz zu anderen einst Übergangenen wie Paul Levi oder Heinrich Brandler weiter schwer haben dürfte, wie Bramke einräumt.
Hoelz, der von sich sagte, dass bei ihm oft »das Gefühl mit dem Verstand durchging«, habe »theoretisch keine Lichtpunkte gesetzt«, begründet das der Historiker: »Er war ein Tatmensch.« Was nicht heißt, dass man nicht an ihn erinnern sollte. An ein Museum freilich oder auch nur die Wiedererrichtung der Büste glaubt Peter Giersich 20 Jahre nach deren Demontage nicht mehr: »Da müssten wir«, sagt er und lacht, »wohl erst einen kommunistischen Bürgermeister bekommen.«
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