Ein Universalstoff als Zeitbombe
Der Dokumentarfilm »Plastic Planet« warnt vor der bunten Gefahr
Wir sind umzingelt. Es ist in unseren Zahnbürsten, Brotdosen, Einkaufstüten, Trinkflaschen, Laptops, Lampen, Stromleitungen, Möbeln. Babynuckeln, Spielzeugautos, Pressemappen. Die Gefahr ist bunt, pflegeleicht, abwaschbar, formbar: Plastik. Vor über 50 Jahren trat der Kunststoff seinen Siegeszug durch die Konsumwelt an – und sitzt seitdem in jedem Haushalt. Doch seit einigen Jahren bröckelt das Image des Universalstoffes. Es ist von Giften die Rede, Chemikalien, die über Packungen und Behälter in die Nahrung gelangen. Die Mixturen zur Herstellung von Plastik seien so geheim, dass die Kunststoffindustrie selbst nicht zu 100 Prozent wisse, was sie da am Ende produziert.
Tatsache ist, dass die getrennte Müllentsorgung von Plastik ein falsches Spiel ist, denn inzwischen ist klar, dass dieser Kunststoff nicht einfach verschwindet. Plastik gilt heute als unrecycelbarer Stoff. Da seine Beschaffenheit nicht ganz klar ist, wissen wir auch nicht, was entsteht, wenn wir es verbrennen. Plastik als Zeitbombe.
Regisseur Werner Boote beginnt sehr persönlich. Ein kleiner Steppke, vier, fünf Jahre alt, rennt aufgeregt umher, denn er bekommt vor laufender Acht-Millimeter-Kamera andauernd Geschenke. Spielzeugautos, Buddelschaufel, einen bunten Kinderrekorder, Badetiere. Die Spielsachen haben alle eins gemeinsam: Sie sind aus Plastik. Der Kleine ist Werner Boote. Die Spielsachen waren Geschenke seines Großvaters, Geschäftsführer der deutschen Interplastikwerke. So begibt sich der Regisseur auf eine ganz eigene, lange Reise, vom Kind des Plastikzeitalters hin zum kritischen Beobachter und Analytiker der gesundheitlichen und ökologischen Gefahren, die von Plastik ausgehen. Am Ende steht Boote mit Megafon in einem Supermarkt und warnt die Kunden.
Werner Boote ist Jahrgang 1965. Plastik kam damals groß in Mode: schön und praktisch, Symbol des Fortschritts. Wer immer noch Holzmöbel besaß, konnte es sich meist nur noch nicht leisten, zur Kunststoffwohnwelt zu wechseln. Der Regisseur zeigt im Film nach einem Selbsttest seine Betroffenheit angesichts der hohen Konzentration von Bisphenol A im eigenen Blut, das zeugungsunfähig machen kann. Bisphenol A ist eine Chemikalie, die Östrogen imitiert. Über Verpackungen, Brotdosen und Trinkflaschen tritt es aus und gelangt in die Nahrungsmittel.
Wie sein Landsmann, der Österreicher Erwin Wagenhofer, mit dem erfolgreichen Film »We Feed The World« die industrielle Lebensmittelherstellung global durchleuchtete, so geht der Wiener Werner Boote dem unguten Gefühl nach, das er zunehmend hat, wenn er Plastik in den Händen hält. Die Kamera reist um die Welt: Verseuchungsskandal in einer PVC-Fabrik in Venedig, Plastiktüten in der Sahara, verbotene Weichmacher in Schanghai, Plastikberge auf einer Müllkippe in Kalkutta, Pseudoplankton aus Kunststoff im Pazifik, Silikonbrüste in der Praxis eines Schönheitschirurgen in Beverly Hills. Boote spricht mit Lobbyisten der Kunststoffindustrie, mit Umweltforschern und Chemikern: nicht immer nur nette Begegnungen. So sind wir dabei, als Boote den ehemaligen Präsidenten des Verbandes der Europäischen Kunststofferzeuger »Plastics Europe«, John Taylor, auf einer Messe verfolgt, um ihm Hunderte Studien über die Schädlichkeit von Plastik – in Plastikordner geheftet – zu überreichen.
»Plastic Planet«, seit September 2009 ein großer Publikumserfolg in Österreich, hat erfreuliche Folgen. Aus dem fatalen Gefühl der Ohnmacht gegenüber der globalmächtigen Kunststoffindustrie heraus, wie es sich bei manchem Zuschauer einstellt, hat eine Familie namens Krautwaschel in Graz ihren kompletten Haushalt auf plastikfrei umgestellt. Es war möglich, trotz einiger Schwierigkeiten.
Die Krautwaschels machen diesen Versuch auch für uns. Denn unser größter Feind, zeigt diese experimentierfreudige Familie, ist mehr noch als alle Kunststoffbosse der Welt – unsere Gewohnheit. Sensibler sei er geworden, sagt Boote, er gehe aufmerksamer durch die Supermärkte, achte darauf, weniger Plastik einzukaufen. Kein Zauberer kann uns helfen, die bösen Geister des einstigen Fortschrittsmaterials zu vertreiben. Wir können selbst damit anfangen. Es muss ja nicht gleich der komplette Haushalt sein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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